Frühlingswandern in der Agglomeration Basel? Auf jeden Fall. Denn da, wo sich die Agglo erstreckt, da erstrecken sich auch die Juraketten mitihren ausgedehnten Wäldern, historischen Wehranlagen und schwindelerregenden Aussichtstürmen.
«Nächster Halt: Basel.» Wer im Intercity von Zürich nach Basel reist, hebt meist erst dann den Kopf, wenn die smarte Lautsprecherstimmedie Ankunft in der Stadt am Rhein ankündet. Vorher ist man in Arbeit vertieft , widmetsich der Zeitung oder einem elektronischen Dialog.Höchstens nimmt man wahr, dass der Zug irgendwannfür längere Zeit im Berg verschwindet. Das Loch heisst Hauenstein-Basistunnel, ist 8,1 Kilometerlang und wird täglich von 400 Zügen durchbraust – einer der wichtigsten Bahntunnel der Schweiz. An dessen Ausgang schliesst das Ergolztal an, benannt nach der Ergolz, dem Hauptfl uss durch das Baselbiet. Er versorgte einst die Römerstadt Augusta Raurica mit Trinkwasser.
Der Interregio fährt bis Sissach durch das Ergolztal
Das Ergolztal ist, vom Zug aus betrachtet, keine Augenweide. Basler Agglomerationsbrei könnte man es nennen; ein Wirrwarr aus Strassen, Bahngleisen, Wohnblöcken, Einfamilienhäusern, Indus - trie- und Gewerbebauten. Trotzdem lohnt es sich, hier Halt zu machen und die Wanderschuhe zu schnüren. Ausserhalb des Talbodens, auf den Jura höhen, versteckt sich manch eine Perle. Die Sissacherflue etwa samt mittelalterlichem Refugium, der Schleifen berg und sein Aussichtsturm, der mit Stechpalmen und Rastplätzen reich gesegnete Wald und die beiden Orte Sissach und Liestal. Also lassen wir den Intercity sausen und zuckeln im Interregio dem Baselland entgegen – bis es aus dem Lautsprecher scheppert: «Nächster Halt: Sissach.»
Das Baselbiet ist ein Chriesiland im Frühling mit schneeweissen Blüten
Sissach überrascht. Das Dorf gibt sich Mühe, ländlich zu bleiben. In seinem Innern bewahrt es ein hübsches historisches Zentrum samt Einkaufsstrasse – verkehrsberuhigt und fussgängerfreundlich, versteht sich. Das reizt, um Halt zu machen, zu bummeln und Neues zu entdecken. Nichts da! Hinter dem Dorf wartet die Sissacherflue, das erste Etappenziel. Dazwischen liegen 350 Höhenmeter, was einer Stunde Aufstieg gleichkommt.
Der Einstieg ist monoton, asphaltierte Wege durch ein ausuferndes Einfamilienhausquartier. Doch bald schon übernimmt die Landwirtschaft . Das Baselbiet ist Chriesiland, in Reih und Glied überziehen die Obstbäume die Hänge. Hübsch anzusehen sind sie mit ihren schneeweissen Blüten und den zartgrünen Blättern. Eine Kuhherde, die sich unter den Bäumen am frischen Gras gütlich tut, macht das Postkartenbild perfekt.
Auf die Landwirtschaft folgt der Wald, und der ist ein Erlebnis für sich. Alte, mächtige Buchen, so weit das Auge reicht, dazwischen fallen grosse Haufen Totholz auf, sogenannte Totholzinseln. Die Sissacherflue ist Naturschutzgebiet, die Wälder werden extensiv genutzt, wenn überhaupt. Totholz lässt man bewusst liegen, es spendet vielen Lebewesen Schutz und Nahrung: Spechten, Käfern, Fledermäusen, Moosen, Flechten und Pilzen. Die Waldränder gestaltet man für Fuchs, Dachs, Wiesel und Schlingnatter naturnah um. Und noch jemand scheint sich puddelwohl zu fühlen: die Waldmaus. Im offenen Wurzelwerk neben dem Wegrand saust sie unermüdlich hin und her.
Von der Sissacherflue überblickt man das ganze Ergolztal
Die Sissacherflue ist nicht nur waldig, sondern auch steil und felsig. Das hat man sich vor langer Zeit zunutze gemacht. Oben auf der Flue stehen die Überreste eines Refugiums, die zwei Meter dicke Ringmauer lässt die Grösse der Anlage aus der Bronzezeit und dem Frühmittelalter erahnen. Der Standort war geschickt gewählt. Von der Sissacherflue überblickt man das ganze Ergolztal, die Felsen schützten vor Eindringlingen. Heute hingegen wird die Kuppe friedlich erobert, und zwar nicht von wenigen. Eine Aussichtsplattform und ein Restaurant samt Zufahrtsstrasse locken Ausflügler.
Der Wald bleibt uns nach der Flue erhalten, doch er wechselt seinen Charakter. Mal ist der Weg von Stechpalmen eingetunnelt, mal recken sich Eichen un Ahorn in den Himmel, mal gibt ein frischer Holzschlag den Blick frei in die Ferne. Von der Nähe zur Stadt und ihrer Agglomeration ist längst nichts mehr zu spüren, vielmehr umgeben uns Friede, Ruhe und Vogelgezwitscher. Die zehn Minuten Autobahnlärm und die beiden Strassen, die wir queren müssen, ignorieren wir gedanklich.
Der Aussichtsturm auf dem Schleifenberg erinnert an den Pariser Eifelturm
Den Aussichtsturm auf dem Schleifenberg hingegen, den lassen wir nicht links liegen. 30 Meter hoch, 1891 erbaut und um 1900 ersetzt, erinnert er an den Pariser Eiffelturm. Von der obersten, siebten Plattform ist die Fernsicht einzigartig, Nichtschwindelfreie schwärmen schon bei Nummer vier. Im Abstieg nach Liestal wartet noch die letzte Attraktion. Sie heisst Sequoiadendron giganteum, wird bis zu 100 Meter hoch, 3500 Jahre alt und produziert einen Stammumfang von 17 Metern. Kalifornische Berg-Mammutbäume sind eine Wucht, auch wenn die Exemplare am Schleifenberg noch weit von ihren Maximalausmassen entfernt sind.
In Liestal endet die Tour, wie sie begonnen hat: mit einer Überraschung. Die Stadt pflegt ihr kleines, historisches Zentrum liebevoll, und jetzt dürfen wir ausgiebig bummeln und entdecken in den alten Gassen. Bloss hat die Wanderung so müde gemacht, dass wir im erstbesten Kaffee hängen bleiben.
Tipps und Informationen zur Wanderung im Frühling auf der Sissacherflue
Wanderroute: Sissach–Sissacherflue–Grimstelucke–Forenacher– Stächpalmehegli–Schleifenberg–Liestal.
Anforderungen: Familienfreundliche, einfache Wanderung auf gut ausgebauten Wegen. Allerdings fordert das stete Auf und Ab gute Kondition, und zum Schluss zieht sich die Tour in die Länge. Wanderzeit ohne Pausen 4,5 Stunden.
Einkehr: In Sissach und Liestal sowie täglich auf der Sissacherflue und am Sonntag auf dem Schleifenberg. Unterwegs schöne Rastplätze mit Grillstellen.
Karten: Swisstopo-Wanderkarte 1:50 000 Blatt Liestal (214T); Swisstopo-Landeskarte 1:25 000 Blatt Sissach (1068).
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NATURZYT Ausgabe März 2022, Text/Fotos Daniel Fleuti