Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, doch wir sehen die Dinge immer nur aus unserer Sicht. Wie aber wäre es, wenn wir hören könnten, was unsere 4-, 8- oder 111-beinigen Mitbewohner dieser Erde uns zu sagen haben? Was würden sie wohl über uns Menschen denken, und wie würden sie ihr Zusammenleben mit uns empfinden?
Eine spannende Idee – sähen wir das ganze einmal aus ihrer Sicht und erführen, was sie uns alles zu sagen hätten. Naturzyt hat sich deshalb entschlossen, neue Wege auszuprobieren und sich darüber Gedanken zu machen, was wäre, wenn sie wie wir sprächen und wir sie einfach fragen könnten.
Es summt und brummt bis in den Oktober hinein. Stachelbewehrt in Schwarz und Gelb gewandet, fliegen die grossen Insekten auf Beutefang umher. Vielen Menschen machen diese Tiere Angst, heisst es doch drei ihrer Stiche könnten einen Menschen töten, sieben davon gar ein Pferd. Sie sind jedoch weder angriffslustig noch so gefährlich, wie man es ihnen nachsagt – unsere wundervollen Hornissen.
Als ich die Fliedersträucher in unserem Redaktionsgarten zurückgeschnitten habe, fiel mir auf, dass da plötzlich einige Hornissen angeflogen kamen, um sich am Saft der durch den Schnitt verletzten Pflanze zu laben. Das gab mir die Gelegenheit, diese schönen und doch respekteinflössenden Insekten der Familie der sozialen Faltenwespen aus nächster Nähe, sozusagen Auge in Auge, zu beobachten und eine der Damen um ein Gespräch zu bitten. Also setzte ich mich ruhig unter den Fliederbusch und harrte der Dinge, die ich da beobachten und erfahren würde.
GUTEN TAG, LIEBE HORNISSEN, ICH WOLLTE EUCH NICHT ERSCHRECKEN, ICH SITZE NUR GANZ RUHIG HIER UND SCHAUE EUCH ZU, WENN ES FÜR EUCH ALLE OK IST.
Dasssss geht in Ordnung, ssssolange du wirklich nur zuschaussst und unssss nichtsssss tust.
DAS WERDE ICH GANZ BESTIMMT NICHT, ICH FINDE EUCH NÄMLICH ÜBERAUS SPANNENDE WESEN UND WÜRDE MICH SOGAR ÜBER EIN KURZES GESPRÄCH MIT EINEM VON EUCH FREUEN. AUSSERDEM GEHÖRT IHR ZU EINER BESONDERS GESCHÜTZTEN ART.
Isssst dassss ssso? Wieso geschützt?
LEIDER GEHÖRT IHR ZU EINER VOM AUSSTERBEN BEDROHTEN ART, WESHALB MAN EURE NESTER NICHT EINFACH KAPUTTHAUEN DARF ODER EINEN EURER ART EINFACH ERSCHLAGEN SOLLTE. WENN IHR EIN NEST BAUT, WO ES UNSER GEMEINSAMES LEBEN UNMÖGLICH MACHT, WIRD EIN SPEZIALIST GERUFEN, DER DANN EUER NEST AN EINEN FÜR BEIDE SEITEN ANGENEHMEREN PLATZ VERSETZT.
Dassss haben wir nicht gewussst. Dasssss ist ganz toll. Bissst du eine solche Spezialissstin?
NEIN, DAS BIN ICH NICHT. ICH SCHREIBE FÜR EIN NATURMAGAZIN KLEINE INTERVIEWS MIT VERSCHIEDENEN TIEREN, UM DIESE DEN MENSCHEN ALS DIE PERSÖNLICHKEITEN, DIE SIE SIND, NÄHERZUBRINGEN UND UM MEHR VERSTÄNDNIS FÜR EINANDER ZU FÖRDERN. HÄTTE VIELLEICHT EINE DER DAMEN EIN BISSCHEN ZEIT FÜR EIN KLEINES GESPRÄCH MIT MIR?
Dassss klingt spannend. Und die Menschen glauben dir, dassss du mit Tieren sprechen kannssst? Die denken bestimmt, du hassst einen Vogel. Aber egal, ich werde dir ein bisssschen meiner Zeit schenken. Viel habe ich allerdingssss nicht.
DAS IST SEHR NETT VON DIR. ICH BIN GINI, UND WIE HEISST DU?
Freut mich Gini, ich bin Hortenssse Hornisse. Was soll ich dir denn erzählen?
OH, MICH INTERESSIERT GRUNDSÄTZLICH ALLES. WO LEBT IHR, UND WIE FUNKTIONIERT EUER ZUSAMMENLEBEN? WIE ALT WERDET IHR? WIE IST DAS MIT DEN KÖNIGINNEN UND DEN DROHNEN? WAS ESST IHR? ETC.
Du willssst aber viel wissssen. Ich weisss gar nicht, wo ich da anfangen soll und ob ich dafür genug Zeit habe.
MACHT NICHTS, FANG EINFACH AM ANFANG AN. VIELLEICHT, WIE SO EIN HORNISSENNEST ENTSTEHT.
OK. Alssso unsere Königin hat im Frühjahr, sssso Anfang Mai, alssss sie aus dem Winterschlaf erwacht isssst, durch Erkundungssssflüge nach einem geeigneten Nisssstplatz gesucht. Ssssie wurde letzten Herbssssst geboren und hat im Holz desss morschen Apfelbaumessss hinten bei der Wiese überwintert. Ssssie hat ihren Hunger am Sssaft blutender Bäume und den ersssten Beuteinsekten gestillt. Als ssssie dann den geeigneten Platz für unsssser Nest gefunden hat, hat sssie dort einen kleinen Stiel aus selbst gefertigtem Baumaterial an die Decke der Nissssthöhle geheft et und anschliesssssend an desssssen Ende die ersten sechsssseckigen Wabenzellen geformt. Diesessss Baumaterial besteht aussss zerkautem Totholz und pro Tag kann ssssie etwa 1,6 Waben anfertigen. An diese erssssten Zellen hat sssie dann 40–50 weitere angebaut und jede mit einem Ei belegt. Nach 12–18 Tagen entstehen darausss dann Larven, welche sich über ein Puppenstadium zu Hornissssen entwickeln. Esss dauert ca. 30–50 Tage , bissss die ersten Hornissssen ausfl iegen und die Königin dann im Nesssst bleiben kann, um den Staat zu vergrössssern. Um die Nahrungssssuche und die Aufzucht der Larven kümmern wir unsss dann.
ICH HABE VON NICHT ALLZU LANGER ZEIT EIN HORNISSENNEST IN EINEM HOHLEN BAUM GESEHEN. WAR ECHT FASZINIEREND. DER GESAMTE SPALT IM BAUM WAR ZUGEMAUERT , BIS AUF EIN LOCH, WELCHES ZUM EIN UND AUSFLIEGEN DIENTE. ES HAT SICHERLICH LÄNGERE ZEIT GEDAUERT, UM DIESES NEST ZU BAUEN. VIELLEICHT WIRD ES JA IMMER WIEDER VERWENDET, DA DER PLATZ SO TOLL IST. DAS WAR SEHR GROSS, IST EURES AUCH SO GROSS?
Hornisssen nisssten nie zweimal im ssselben Nessst. Die neuen Königinnen ssssuchen immer einen neuen Platz für den Nesssstbau. Aussserdem , wasss verstehst du unter grossss? So ein Hornisssennest wird im Sssseptember schon mal gut 600 Waben grosssss sein, das isssst normal. Unseresss hat etwa sechs durch mehrere Trägersssäulen verbundene Wabenteller, die wir durch eine Nessssthülle mit Luft kammern geschützt haben. Dasssss isoliert und schützt unsere Larven. Ssssie mögen am liebssssten eine Temperatur um 26 Grad. Fallssss es mal zu heisss wird, fächeln wir mit unsssseren Flügeln kühle Luft hinein , und wir bringen auch Wassssser zum Kühlen mit.
WOW, DAS KANN JA DANN SCHON MAL GUTE 60 ZENTIMETER LANG WERDEN. DA MUSS ES DANN SCHON ZÜNFTIG BRUMMEN DRINNEN. BEKOMMT IHR DENN DA KEIN PLATZPROBLEM? UND WO FINDET IHR DENN DA GEEIGNETE NISTPLÄTZE? SO VIELE HOHLE BÄUME GIBT’S IN DER GEGEND AUCH NICHT, UND WENN IHR DIE ALTEN NESTER NICHT MEHR BENUTZT, WIRD DIE SUCHE AUCH NICHT EINFACHER.
Dasss issst in der Tat manchmal ein Problem. Esssss gibt Hornissssenstämme , welche in Storenkässsssten, auf Dachböden, in alten Schuppen oder an Holzfassssaden ihre Nessster bauen, weil esss einfach keine geeigneten natürlichen Nissstplätze gibt. Sssofern die Menschen unsss dort tolerieren , ssssind dassss eigentlich keine schlechten Plätze, zumindessst hat es dort genügend Platz. Unsere Königin hat dassss Nesssst in einem Vogelnisssstkass sten gegründet. Dessshalb musssten wir zwisssschenzeitlich eine Filiale bilden und umziehen, weil der Platz zwar gut gelegen aber einfach zu klein war.
WAS HEISST UMGEZOGEN? HABT IHR DIE WABEN GEZÜGELT ODER DIE LARVEN, ODER WIE SOLL ICH MIR DAS VORSTELLEN?
Wir musssten nochmalsss nach einem geeigneten Platz ssssuchen und dort nochmalssss ein Nessst gründen. Dann mussste die Königin umziehen und wir durft en dafür 2 Nessster betreuen , bisss das alte dann ausgesssstorben war. War ne ziemliche Plackerei.
TUT MIR LEID, DASS IHR SO VIEL ARBEIT HATTET, ABER IHR SEID JA EIN SEHR GROSSER STAMM MIT SICHERLICH VIELEN ARBEITERINNEN. HAT DIE BETREUUNG DER BEIDEN PLÄTZE LANGE GEDAUERT?
Nein, da wir nur eine Lebenssserwartung von ca. 20 Tagen haben, ssssind wir in der Regel nie mehr alssss zirka 200 Arbeiterinnen , die Futter für den Nachwuchssss und die Königin bringen. Dasss ist auch der Grund , wessshalb dassss alte Nessst ssssehr schnell leer war , ssssobald alle geschlüpft waren.
ICH SEHE EUCH AM HOLZ MEINES FLIEDERSTRAUCHES KAUEN, SAMMELT IHR DA HOLZ FÜR DEN NESTBAU ODER WAS MACHT IHR DA?
Wir ernten den Sssssaft . Damit ernähren wir unssss. Wir mögen den Flieder- und den Eschenssssaft sehr gerne. Desssshalb ernten wir an kleinen Wunden der
Ässsste den Ssssaft.
DANN MÖGT IHR WIE WESPEN ALLES SÜSSE? ICH SEHE ABER EIGENTLICH NUR SEHR SELTEN EINE HORNISSE UM EINEN KAFFEETISCH FLIEGEN.
Wir mögen grundssssätzlich keine Menschennahrung. Unssss interessssiert weder euer Eissss noch eure Cola. Wir interesssieren unsss eher für die Wesssspe, welche diessse Nahrung anzieht. Wir ernähren unssss von Säften der Bäume und unsssere Larven füttern wir mit anderen Insssekten. Dessshalb mögen unsss manche Imker nicht ssso gerne. Weil wir auch Bienen alssss Beute ansssehen.
WIE IST DAS, HABT IHR DENN IN DER INSEKTENWELT AUCH FEINDE WIE DIE BIENEN? UND WELCHE FEINDE HABT IHR NOCH?
Nein, dank unsssserer Grössse haben wir keine Feinde und so eine «Kukuckssss»Hornisssse, welche unssssere Königin verdrängt und an ihrer Stelle herrscht, gibt esss meinesss Wisssensss in Europa auch nicht. Dassss Einzige, wasss uns passieren kann, issst, dasss wir zu nahe bei einem anderen Stamm sssind und wir unssss gegenseitig schädigen, weil wir unssss zu vertreiben versuchen. Fallsss essss einer Spitzmaussss gelingen ssssollte, in unsssser Nest einzudringen, wäre dasss viel gefährlicher. Ssssie könnte dann nämlich innert kürzesssster Zeit den gesssamten Stamm aussslöschen. Vögel sssind nicht sssso schlimm. Ssssie erwischen immer nur einzelne Hornissssen.
DIE MENSCHEN HABEN EIN SPRICHWORT, DASS SIEBEN EURER STICHE EIN PFERD UND DREI STICHE EINEN MENSCHEN TÖTEN KÖNNEN. VIELE VON UNS FÜRCHTEN SICH DESHALB VOR EUCH. WIE IST DAS NUN IN WAHRHEIT?
Dassss issssst der grössste Blödssssinn, den ich in meinem kurzen Leben je gehört habe. Unsssere Stiche sssind vielleicht etwas schmerzhafter als die der gemeinen Wesssspe. Dassss isssst aber nur, weil unsssser Stachel grössssser ist und in unsssserem Hornisssssengift ein Stoff namenssss Acetylcholin issst, welcher schmerzversssstärkend wirkt. Ansssonsten issst unssser Gift ssssogar schwächer alssss dasss der Bienen und Wessspen. Für Allergiker jedoch issst jeder Stich ein Problem, egal von welchem Inssssekt. Ausssserdem sssind wir überhaupt nicht aggressssiv wie Wessspen. Wenn immer möglich fliehen wir und gehen jeglichem Kontakt aussss dem Weg, aussser man quetscht unssss versehentlich. Dann würdet ihr ja wohl auch ssstechen. Wenn ihr unsss in Ruhe lassst, euch ruhig verhaltet und euch unssserem Nessst nicht nähert, können wir problemlossss zusssammenleben. Dasss hat sssogar noch den Vorteil, dasss wir euch die lässstigen Wessspen vom Hals halten.
DAS STIMMT, ICH MUSS SAGEN, ICH SITZE WIRKLICH SCHON FAST EINE HALBE STUNDE UNTER DEM FLIEDERSTRAUCH UND SEHE EUCH BEIM SAFTSAMMELN ZU. DER ABSTAND ZWISCHEN UNS IST NUR EINE HANDBREITE UND DU BIST TOTAL FRIEDLICH. VON MIR AUS DÜRFT IHR JEDERZEIT ZUM SAMMELN HERKOMMEN. PASST EINFACH AUF DEN FRECHEN REDAKTIONSKATER AUF. DER HAT UNS NACHTS SCHON MAL EINE HORNISSE INS HAUS GEBRACHT. WO ER DIE HERHATTE, WISSEN WIR AUCH NICHT.
Dassss kann ich dir sssagen. Wir schlafen nachtssss nicht, höchssstens etwa 1 Stunde morgensss. Wir sssind alssso auch nachtsss aktiv und fliegen umher. Schliessslich gibt es auch nachtssss Beute bei den vielen Lichtern, die ihr überall brennen lassssst.
OH TATSÄCHLICH, DAS HÄTTE ICH NICHT GEDACHT. ICH GLAUBTE, IHR WÜRDET EUCH NACHTS IN EUER NEST ZURÜCKZIEHEN UND DORT BIS ZUM MORGEN SCHLAFEN, WIE DIE BIENEN. NA, DANN SEID IHR JA VIEL FLEISSIGER ALS DIESE. BALD IST SEPTEMBER. WAS PASSIERT DENN MIT EUREM STAMM IM HERBST UND WINTER?
Diesssse Zeit issst die Zeit, in der unssssere Königin anfängt, Drohnen und Jungköniginnen zu legen, damit unsssere Art auch nächssstes Jahr nicht aussstirbt. Die Drohnen begatten dann die bis zu 200 Königinnen, und gegen Ende November isssst dann der gessssamte Stamm inklusssive Drohnen und unsssserer Königin ausgestorben. Ssssie hat dann fassst 1 Jahr lang gelebt. Die jungen Königinnen ssssuchen sssssich dann einzeln einen Platz zum Überwintern, meissst in sssselbst genagten Hohlräumen in Totholz. Und dann beginnt im nächsssten Frühjahr der Zyklussss von Neuem.
DAS WAR WIRKLICH SEHR INTERESSANT. VIELEN DANK HORTENSSSE, DASS DU DIR DIE ZEIT GENOMMEN HAST, MIT MIR ZU SPRECHEN. ICH WILL DICH JETZT NICHT LÄNGER AUFHALTEN. ICH WÜNSCHE DIR UND DEINEM STAMM ALLES GUTE.
Dassss issst gerne geschehen. Esss hat mich gefreut, wenn ich euch vielleicht etwassss von eurer Angsssst nehmen konnte. Allesssss Gute, und ich komme besssstimmt nochmalsss vorbei, um Ssssaft zu holen.
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2022, Text, Foto und Illustration Virginia Knaus