Toggenburger Hügelhüpfen mit Blick auf den Säntis, das Wahrzeichen der Ostschweiz, und einem Besuch bei 600 Jahre alten Bergahornen. Das gibt’s auf der Schneeschuhtour auf den einsamen Aussichtsgipfel Hinterfallenchopf.
Der Säntis ist ein gewaltiger Klotz. Mit seinen 2500 Metern Höhe ist er nicht nur der grösste Gipfel im Alpsteinmassiv, sondern auch der dominanteste und exponierteste. Egal, wo man unterwegs ist östlich von Zürich, der Berg drängt sich immer irgendwie ins Blickfeld. Auf dem Gipfel des Säntis treffen sich die Kantone St. Gallen und die beiden Appenzell, ein Verdikt des Bundesgerichts aus dem Jahre 1895. Jeder wollte Anteil am Ostschweizer Wahrzeichen, da mussten die höchsten Richter her. Der Berg war schon damals ein Magnet für Touristen: 1000 Besuche pro Tag verzeichnete man um 1900, das Gasthaus auf dem Gipfel florierte. Mittlerweile sind es einige mehr. Die Säntisbahnen hieven jährlich über 400 000 Ausflügler auf den Berg, mit einer Luftseilbahn, die manch einem das Blut in den Adern stocken lässt, so steil und hoch ist sie.
In einsamer Moorlandschaft zum Hinterfallenchopf
Am eindrücklichsten ist der Säntis aus der Distanz betrachtet, zum Beispiel vom Hinterfallenchopf, einem seiner Nachbarn. Unscheinbar und wenig bekannt ist der langgezogene Berg, der eher einem Hügel gleicht. Aber der Blick vom Gipfel auf das Säntismassiv ist unvergesslich, die Schneeschuhtour dazu ein Traum. In einsamer Moorlandschaft ist man unterwegs, wo Auerhahn und Birkhuhn hausen. Man streift über weite Alpen, lernt 600 Jahre alte Bergahorne kennen und testet seine Kondition am ständigen Auf und Ab. Die Tour startet, wo die Gondel auf den Säntis abhebt: auf der Schwägalp. Der breite Übergang zwischen dem Appenzellerland und dem Toggenburg mutet putzig an angesichts des übermächtigen Säntis, der mit seinen 1000 Meter hohen Felsen alles rundherum erdrückt. Also haben die Touristiker dem Berg ein Hotel vor die Nase gesetzt, das ihm punkto Wuchtigkeit das Wasser reicht, ein Klotz aus Sichtbeton und Holz. In der voluminösen Gaststube des Hotels Schwägalp kommt man sich so verloren vor, dass man die Kaffeetasse etwas fester umklammert.
Also nichts wie los in die winterliche Ruhe, bei der Strassenkreuzung auf Schwägalp Passhöhe wartet der Pfad zum Hinterfallenchopf. Ein letzter Blick zurück auf Hotel und Säntisbahn, dann verschluckt uns der Wald. Das Gebiet zwischen Schwägalp, Chräzerenpass und Pfingstboden ist Moorlandschaft , Waldpartien und offene Landstriche wechseln sich ab. Hier sind Auer-, Birk- und Haselhuhn zu Hause, ihre Spuren finden sich überall im Schnee. Der markierte Weg schlängelt durch die Hügellandschaft , mal eine Rippe hoch, dann wieder in ein Tälchen runter. Das macht zwar Spass, nur Höhe gewinnt man nicht.
Still und nahezu unberührt liegt die Alp Horn vor uns
Nach einer guten Stunde entlässt uns der Wald aufs Feld. Was für ein Kontrast! Das gleissende Licht lässt uns die Augen zusammenkneifen, still und nahezu unberührt breitet sich die Alp Horn vor uns aus. Vor den Alphütten laden Sonnenplätze zur Rast; angesichts des bevorstehenden Aufstiegs keine schlechte Idee. Die Sicht auf den Säntis mit seiner mächtigen Felswand ist makellos, nur der ferne Schiesslärm irritiert etwas. Die Alpen am Fuss des Säntis sind militärisches Übungsgelände. Hier übt die Armee, was im Ernstfall das Land retten soll. Der Hall schwappt über das ganze Tal. Also auf zur nächsten Alp. Ellbogen heisst sie – weshalb, werden wir bald erfahren.
Der Pfad steigt an bis zum Pfingstboden und, oh Schreck, vernichtet die gewonnene Höhe gleich wieder bis zum Ellbogen. Zwei Stunden sind wir seit der Schwägalp unterwegs, aber immer noch auf gleicher Höhe. Das heisst: Jetzt gilt es ernst. 300 Höhenmeter trennen vom Hinterfallenchopf; je höher wir kommen, desto steiler wird der Pfad. Die Anstrengung lohnt sich: Auf dem Gipfel zeigen sich der Säntis und das Toggenburg in ihrer ganzen Pracht, über dem Thurgau wabert die Nebelsuppe, um unsere Ohren pfeift der Wind. Dick in Schnee eingepackt ist der Säntis, seiner exponierten Lage verdankt er Schneehöhen von bis zu acht Metern. Der Hinterfallenchopf hat etwas weniger, aber immer noch genug für einen stiebenden Abstieg. Bloss: Wo geht es runter? Steile Abhänge und Felsen, wohin man auch blickt. Der Hinterfallenchopf macht den Abschluss des Ofenlochs, der engen Schlucht, durch die sich der Bergbach Necker zwängt. Einen kleinen Durchschlupf haben die Felsen offen gelassen, samt Tiefblick in den Schlund des Ofenlochs.
Die Toggenburger Hügellandschaft geizt nicht mit Reizen
Stiebend ist der Abstieg nur bis zur Alp Ji, dann ist wieder munteres Auf und Ab angesagt – die Toggenburger Hügellandschaft bleibt sich treu. Aber sie geizt nicht mit Reizen. Die Chlosteralpen sind ein Mosaik aus Wäldchen, Tälchen und Rippchen, an den schönsten Plätzen dösen Alphütten unter der Wintersonne. Nach der Vorderchlosteralp dann kommen sie, die Bergahorne. Einer schöner als der andere, knorrige Gesellen. Sie wurden gepflanzt, um nach einem Bergsturz das Gelände zu stabilisieren. 150 sollen es sein, und sie stehen unter Schutz. Nach der Alp Gössigen und einem Tobel geht es auch für uns talwärts, im Direktflug über Brüggli nach Ennetbühl ins Gasthaus Krone. Das Postauto fährt spärlich, da wartet man besser an der Wärme.
Tipps & Information zur Schneeschuhtour Hinterfallenchopf
Schneeschuhtour: Schwägalp Passhöhe–Chräzerenpass–Horn–Pfingstboden–Ellbogen–Hinterfallen–Hinterfallenchopf–Ji–Hinterchlosteralp–Vorderchlosteralp–Gössigen–Brüggli–Ennetbühl.
Anforderungen: Technisch ist die Tour einfach, sie erfordert aber gute Kondition für das stete Auf und Ab. Besonders nach Neuschneefällen kräftezehrend. Die reine Wanderzeit beträgt rund 4,5 Stunden.
Fuchs und Hase: Zwischen Schwägalp und Pfingstboden ist man in einer Wildruhezone unterwegs. www.wildruhezonen.ch
Orientierung: Die Tour folgt weitgehend dem Sommerweg, einzig zwischen Gössigen und Brüggli kürzt man ab und wählt den Direktabstieg. Die Orientierung ist einfach, Spuren sind meist vorhanden.
Ausrüstung: Nebst Schneeschuhen gehören eine Lawinenausrüstung und eine Karte zum Bestandteil einer Schneeschuhtour. Das Lawinenbulletin ist unter www.slf.ch abrufbar.
Einkehrmöglichkeiten: Auf der Schwägalp (Passhöhe und Säntisbahn) und in Ennetbühl.
Anreise: Mit dem Zug über Gossau nach Urnäsch, dann mit dem Postauto auf die Schwägalp. Zurück ab Ennetbühl mit dem Postauto.
Karten: Swisstopo-Landeskarte, 1:25 000 Blatt Nesslau (1114) oder Skitourenkarte, 1:50 000 Blatt Appenzell (227S)
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