Unendlich die Weite, die Schneeschuhläuferinnen und -läufer auf Jufplaun erwartet. Traumhaft die Gebirgskulisse, die sich rundherum ausbreitet. Auf der Hochebene zwischen Ofenpass und Val Müstair kann man die Zeit vergessen – und einen Blick ins Val Mora werfen, das Tal der Bären.
Dario Cologna und der Bär. Beide haben das Val Müstair, dieses abgelegene Tal in der südöstlichsten Ecke der Schweiz, über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. Der in Sta. Maria aufgewachsene Dario Cologna verschaffte dem Schweizer Langlaufsport unter anderem mit drei olympischen Goldmedaillen und einem Sieg im Gesamtweltcup Ruhm und Ehre. Der erste Bär, der hundert Jahre nach seiner Ausrottung im Sommer 2005 in die Schweiz zurückkehrte, überschritt im Münstertal die Grenze. Gross war damals die Aufregung. Die Schaulustigen strömten in Scharen ins Tal in der Hoffnung, das Raubtier zu Gesicht zu bekommen.
Val Mora, das Bärental
Entdeckt worden war der Bär im Gebiet Buffalora, nahe des Ofenpasses. Danach hielt er sich mehrmals im Val Mora auf, bevor er zum Ende des Sommers das Weite suchte. Das Val Mora ist seither regelmässig von Bären besucht worden; das dünn besiedelte Tal an der Grenze zu Italien und zum Schweizerischen Nationalpark hat es den Grossraubtieren angetan. Und nicht nur ihnen. Im Sommer ist das lange Hochtal ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer und Mountainbiker. Im Winter hingegen kehrt Ruhe ein, gespenstische Ruhe. Zu lang und zu flach ist das Val Mora, um es mit Tourenskis oder gar mit Schneeschuhen zu durchstreifen. Einen Blick ins verlassene Tal werfen kann man trotzdem – von der Hochebene Jufplaun aus.
Der weitläufige Übergang zwischen Ofenpassstrasse und Val Mora ist für Schneeschuhläuferinnen und -läufer ein Traum. In schier unendlicher Weite zieht man seine Spur, die Unterengadiner und Münstertaler Berge stehen dabei Spalier. Zudem ist Jufplaun einfach zu erreichen. 350 Höhenmeter gilt es zu überwinden, der Weg ist nicht besonders steil. Kein Wunder, ist man hier oben selten allein. Platz hat es für alle genügend, nicht zuletzt, weil es die Skitourengänger weiter weg zieht, auf den Piz Daint oder den Munt Buffalora.
Am Rande des Nationalparks
Uns soll es recht sein. Obwohl – die fehlenden Höhenmeter werden durch die Länge der Tour kompensiert. Wer die Hochebene ganz durchquert und bis zum Rand des Val Mora vorstösst, leistet beachtliche Beinarbeit. Eine Stärkung vor dem Abmarsch ist angezeigt, hausgemachte Bündner Nusstorte aus dem Gasthaus Buffalora gibt Energie. Buffalora? Ja, die Tour startet da, wo der Bär 2005 erstmals gesichtet wurde, an der Ofenpassstrasse. Einen sehen werden wir heute kaum, Bären halten Winterschlaf. Genauso wie die Alp Buffalora, die erste und einzige Alp auf dem Weg nach Jufplaun. Sie grenzt an den Schweizerischen Nationalpark, der sich westwärts bis fast nach Zernez erstreckt und im Winter geschlossen ist. Wir hingegen halten gegen Osten und machen uns an den einzigen steileren Aufstieg des Tages, der uns bald aus dem Wald führt, hinein in die hochalpine Szenerie zwischen Ofenpass und Münstertal.
Was für ein Panorama, hat man die letzten verschneiten Föhren und Arven hinter sich gelassen: Rechts erhebt sich stolz der Munt Buffalora mit seiner dominanten Ostwand, links grüsst keck der Fast-Dreitausender Piz Daint. Dazwischen liegt unser Ziel, die Hochebene Jufplaun, eine Moorlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Eine Geländestufe gilt es noch zu überwinden, dann stehen wir am Rand der weissen Weite und lassen uns verzaubern von der Einsamkeit, der Ruhe und der Abgeschiedenheit.
Rasten beim Zollhaus
Früher muss hier oben mehr Betrieb geherrscht haben. Das grosse Zollhaus jedenfalls, das ein wenig oberhalb der Hochebene vor sich hin schlummert, ist von stattlicher Grösse. Das ständig surrende Natel im Rucksack erinnert daran, dass Italien gleich um die Ecke liegt. Im Winter kann man vor der Chasa da Cunfin bestens rasten, ein Hauch von Zivilisation inmitten hochalpiner Wildnis. Die Fuorcla del Gall und die Cima del Serraglio zeigen sich derweil am Horizont, Letztere weist uns die Richtung über Kuppen und Weiden an den Rand des Val Mora. Der Übergang von der Hochebene ins lange Hochtal ist jäh.
Der kleine Bergbach, der am Piz Daint entspringt, hat eine tiefe Schlucht geformt, die Kraft der Natur ist zum Greifen nah. Hier heisst es umkehren, das Val Mora bleibt unangetastet. Die Runde führt erst zur Jagdhütte bei Döss dal Termel – ebenfalls ein lauschiger Rastplatz – und dann den Hängen des Piz Daint entlang zurück zur Spur, die uns nach Jufplaun gebracht hat. Hinter uns taucht die Sonne die Hochebene in ein letztes warmes Licht. Dieses Bild nehmen wir im Herzen mit.
Tipps und Informationen zur Winterwanderung auf die Jufplaun
Route: Buffalora (P10)–Alp Buffalora–Jufplaun–Chasa da Cunfin – Mots–Döss dal Termel–Döss da las Plattas–Ova da Buffalora–Buffalora (P10).
Anforderungen: Die Schneeschuhtour ist einfach, das Gelände sanft. Die reine Wanderzeit ohne Pausen beträgt etwa 4,5 Stunden.
Variante: Von der Chasa da Cunfin direkt zur Hütte bei Döss dal Te rmel aufsteigen, spart rund eine Dreiviertelstunde Wanderzeit.
Orientierung: Bei guter Witterung ist die Orientierung einfach, bei schlechter anspruchsvoll. Vom Gasthaus Buffalora dem Sommerwanderweg entlang via Alp Buffalora zur Baumgrenze. Danach mehr oder weniger der Datenleitung folgen zur Chasa da Cunfi n. Die Gipfel Piz Daint und Munt Buffalora weisen den Weg, zu Letzterem halte man genügend Abstand (Schneerutsche). Weiter bis zum Rand des Val Mora, danach auf dem Sommerwanderweg über die Jagdhütte Döss dal Termel und im lichten Wald auf die Moorebene des Bachs Aua da Murtaröl. Diesem entlang zurück nach Buffalora.
Ausrüstung: Eine Karte und eine Lawinen-Sicherheitsausrüstung gehören zu den Bestandteilen einer Schneeschuhtour. Das Lawinenbulletin ist unter www.slf.ch abrufbar.
An und Rückreise: Mit dem Zug über Landquart nach Zernez, danach mit dem Postauto bis Buffalora. Mit dem Auto über Zernez nach Buffalora.
Einkehr und Unterkunft: Gasthaus Buffalora.
Karten: Swisstopo, Landeskarte 1:25 000, Kartenblätter S-charl (1219) und Sta. Maria (1239); Swisstopo, Ski- und Schneeschuhtourenkarte 1:50 000, Blatt Ofenpass (259S).
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2022, Text/Fotos Daniel Fleuti