Blumenwiese vor See in Güttingerwald

Er gehört zu den schönsten Wäldern der Schweiz, der Güttinger Wald am Bodensee. Sein grosser Bestand an alten Eichen freut Mittelspecht und Wanderer gleichermassen. Besonders der Baum mit den vier Stämmen ist ein Erlebnis.

Das klagende Quäken ist nicht zu überhören. Immer und immer wieder dringen die Laute durch den Wald; mal von links, dann wieder von rechts. Der Gesang gehört dem Mittelspecht. Es ist Mitte April, der bunte Vogel mit dem auffallend roten Scheitel ist auf Brautschau. Das tut er, anders als der Buntspecht, nichtdurch Klopfen, sondern durch eine Art Quäken. Dieselben Laute dienen auch zur Abgrenzung des Reviers. Der Mittelspecht ist hierzulande ein seltener Bewohner geworden. Im fehlt sein Lebensraum, der grosse Eichenwald mit genügend alten Eichen. In deren grob strukturierter Borke findet der Vogel, was er zum Leben braucht: Insekten, Larven, Spinnen und Gliederfüssler.

Junge Blätter an den Bäumen im Güttingerwald
Waldbaden und Waldwandern im blühenden Güttinger Wald.

Der Güttinger Wald ist ein Eichenwald und Paradies für den Mittelspecht

Der Güttinger Wald am Bodensee ist noch ein ursprünglicher Eichenwald. Bis zu 200-jährig sind die mächtigen Alteichen. Ein Paradies für den Mittelspecht. Und für den Wanderer, denn der Güttinger Wald ist durchzogen mit Wegen – geraden und krummen, breiten und schmalen, wenig begangenen und gut frequentierten. Sogar einen Themenweg hat die Waldkorporation Güttingen eingerichtet. Er führt uns in die Eichenstube, den Platz mit den ältesten Exemplaren, und zur Vierereiche, einem Baum mit vier Hauptstämmen. Erst einmal müssen wir den Güttinger Wald aber erreichen. Wir könnten dies relativ einfach tun, indem wir uns im Postauto nach Sommeri chauffieren liessen und eine Viertelstunde später am Waldrand ständen. Doch der Bodenseerücken hat zu viel zu bieten, um ihn auszulassen. Also bauen wir den Besuch im Güttinger Wald zu einer Thurgauer Frühlingswanderung aus und starten am Bahnhof Amriswil – mit der Wegsuche.

Dicker Eichenstamm im Güttingerwald
Die vierstämmige Eiche, ein Unikat im Güttinger Wald.

Einmalige Frühlingspracht in Sommeri

Einen Wanderwegweiser scheint es hier nicht zu geben, und auch sonst halten wir vergebens Ausschau nach Wanderwegzeichen. Erst als sich der Ortsbus auf seinen Weg macht, kommen die Schilder zum Vorschein; ein wenig versteckt zwar, doch die gewünschten Ziele sind aufgeführt. Hefenhofen. Sommeri. Durch die Unterführung auf die andere Bahnhofsseite. Dort steht der Traum jedes Romantikers. Ein kleines Riegelhaus direkt am Stadtweiher, umgeben von Bäumen, blühenden Büschen und Blumen. Ein Idyll wie aus dem Bilderbuch. Idyllisch ist auch die Landschaft auf dem Weg über Hefenhofen nach Sommeri. Der Frühling gibt Gas, als müsste er allen zeigen, welch geballte Kraft in ihm steckt. Der Löwenzahn hat die Wiesen in ein gelbes Meer verwandelt, an den Obstbäumen erblicken die ersten Blüten das Licht der Welt, in Hefenhofen buhlen herausgeputzte Gärten vor hübschen Riegelbauten um Aufmerksamkeit und in Sommeri gesellt sich noch eine Magnolie dazu, die mit ihrer üppig-kitschigen Blütenpracht die Sinne der Wanderer betört. So viel Frühling ruft nach einer Rast, zum Beispiel vor der Dorf irche. Mit ihrem farbenfrohen Kirchturm reiht sie sich nahtlos ins Frühlingsbild ein. Nach Sommeri ist fertig mit blühenden Wiesen, schmucken Dörfern und weiter Sicht über die Frühlingslandschaft. Das frische Grün des Güttinger Walds erwartet uns. Statt Löwenzahn säumen nun junger Klee und bereits etwas schlapper Bärlauch den Weg, die Eichen tragen erste, zierliche Blätter, die im Sonnenlicht zauberhaft leuchten.

Blühender Klee am Waldboden im Güttingerwald
Der blühende Klee im Güttinger Wald gehört zu den Frühlingsboten.

Zwischen 300 und 500 Tierarten sind direkt und indirekt von der Eiche abhängig

Wer denkt, ein Eichenwald bestehe aus Eichen, wird rasch eines Besseren belehrt. Die Eichen sind Teil der Waldgemeinschaft , Buchen, Eschen und Ahorn gehören ebenso dazu. Diese Gemeinschaft steht seit 2015 unter Schutz. Im Güttinger Waldreservat will man die alten Eichenbestände erhalten und dem Mittelspecht sowie vielen anderen Tieren den Lebensraum sichern. Eichen sind nämlich wahre Zentren der Biodiversität. Zwischen 300 und 500 Tierarten sind direkt oder indirekt von ihnen abhängig, das schafft hierzulande kein anderer Baum. Eng ist zudem die Bindung zum Menschen. Unter Eichen wurde Gericht gehalten, mit Eicheln mästeten die Bauern Schweine, und bei jedem Bau, der dauerhaft en Holzes bedurft e, war Eiche erste Wahl. Die Zeiten sind vorbei: Die Eiche verlor ihre Bedeutung und musste vielerorts der Fichte weichen, dem mitteleuropäischen Brotbaum schlechthin. Im Güttinger Wald hat die Eiche über die Fichte gesiegt. Der standortfremde Nadelbaum wird im Zuge der Reservatsbewirtschaftung geräumt, die Eiche gezielt gefördert. Als ob er dafür Danke sagen möchte, quäkt der Mittelspecht ein letztes Mal, wie wir kurz vor Altnau das Waldidyll verlassen.

Zwei Füssgänger am Waldrand im Frühling
Wiesen- und Frühlings zauber bei Sommeri.
Gartenzaun vor grüner Wiese mit Blick auf Bodensee
Seeblick zum Abschluss, kurz vor Altnau.

Der tiefblaue Bodensee liegt vor uns

Welch ein Szenenwechsel: Statt Bäumen breitet sich der tiefblaue Bodensee aus, sattes Grün überzieht die weitläufigen Wiesen. Jetzt wäre Zeit für Kaffee und Kuchen. Wer dem Genuss statt im pittoresken Altnauer Dorfkern am Seeufer frönen will, hat noch ein kräftezehrendes Wegstück vor sich. Dafür kann er dort zwischen mehreren Möglichkeiten wählen – und statt dem Rauschen des Windes in den Bäumen nun dem Plätschern des Wassers lauschen.

Tipps und Informationen zur Wanderung im Güttinger Wald

Wanderung: Bahnhof Amriswil–Hefenhofen–Sommeri–Löölihau–Huefiise–Bleihof–Altnau Oberdorf–Altnau Bahnhof.
Einkehrmöglichkeiten: In Amriswil, Hefenhofen, Sommeri, Altnau Oberdorf und in Altnau am Bahnhof und am See. Beim Waldausgang
in Altnau schöner Picknickplatz mit Feuerstelle.
Anforderungen: Einfache, familienfreundliche Wanderung auf Feld- und Waldwegen. Zwischen Amriswil und Sommeri und am Schluss in Altnau teilweise Hartbelag. Die reine Wanderzeit beträgt
rund 3,5 Stunden.
Varianten: Die Tour ist beliebig verlängerbar. Der Güttinger Wald ist durchzogen mit Wegen, von Altnau aus kann man am Seeufer Richtung Kreuzlingen oder Uttwil weiterwandern. Für Streifzüge durch den Wald lohnt sich eine Karte.
An- und Rückreise: Mit dem Zug oder Auto nach Amriswil. Zurück ab Altnau Bahnhof mit dem Zug über Romanshorn Richtung Winterthur und Zürich. Ab Kirche Altnau Postauto nach Kreuzlingen.
Karten: Swisstopo Landeskarte 1:25 000 Blatt Weinfelden (1054) oder Swisstopo Wanderkarte 1:50 000 Blatt Arbon (217T).

Weitere Wanderungen im Frühling die es zu erleben gilt:

Wandern in der Agglo Basel im Frühling in der Sissacherflue

Wanderung am Mont Sujet im Berner Jura zu den Narzissen

Wandern zur Bergdame Dent de Vaulion


NATURZYT Ausgabe März 2021, Text/Fotos Daniel Fleuti

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