Europas grösstes Biosphärenreservat bietet über 5000 Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause. Entdecken lässt sich die Vielfalt an Lebensräumen einzig auf Wasserwegen. Und am besten mit Feldstecher.
Die Donau ist eine der wichtigsten Lebensadern Europas. Zehn Länder durchfliesst der zweitlängste Fluss des Kontinents auf seiner Reise vom Schwarzwald ans Schwarze Meer. Von allen Seiten nimmt die Donau dabei Nebenflüsse auf und wird spätestens in Österreich zum bedeutenden Handelsweg, schon seit dem Mittelalter. Mit ein Grund für die eindrücklichen Städte, die über die Jahrhunderte entlang der 2857 Kilometer entstanden: Wien, Bratislava, Budapest oder Belgrad sind nur die grössten von ihnen.
Noch mehr als die Bauwerke aber beeindruckt die Natur. Zwar musste auch die Donau Eingriffe des Menschen über sich ergehen lassen. Vielerorts aber konnte das ursprüngliche Bild erhalten oder zumindest teilweise wiederhergestellt werden. Die Donau Auen ab Wien etwa gehören zu den grössten Auenlandschaften Mitteleuropas. Der serbische Nationalpark Đer dap ist mit den riesigen Schluchten, durch die sich die Donau ihren Weg sucht, Rückzugsort für Wölfe und Bären. Und das Biosphärenreservat Srebarna im Nordosten Bulgariens beheimatet auf seinen weiten Flächen im Winter über 80 Zugvogelarten.
Das Donaudelta umfasst rund 5800 Quadratkilometer
Das Highlight aber kommt zum Schluss. Das Donaudelta. Rund 5800 Quadratkilometer umfasst das Mündungsgebiet der Donau in das Schwarze Meer. Europas grösstes Feuchtgebiet begeistert mit einer einmaligen Vielfalt an Lebensräumen, einem abschliessenden Feuerwerk aller Naturschönheiten, die einem flussaufwärts begegnet sind. Das Delta ist durchzogen von Tausenden Flussarmen, zum Teil ausgetrocknet, zum Teil mit fast stehenden Gewässern. Über 5000 Tier- und Pflanzenarten haben hier ein Zuhause. Nur Menschen wohnen in der Region mit einer der niedrigsten Bevölkerungsdichten Europas kaum. Die Hafenstadt Tulcea ist das «Tor zum Donaudelta», erreichbar per Bus, Bahn, Schiff und Flugzeug. Hier lässt sich erstmals ins Delta eintauchen: Im Deltamuseum erfährt man auch Hintergründe zur Entstehung des Naturschutzgebietes. So wurden ab 1960 zur Gewinnung von Ackerland Teile des Deltas trockengelegt, ein Fünftel des Lebensraums ging für immer verloren. Mit der politischen Wende 1989 konnte Schlimmeres aber gerade noch verhindert werden. Rumänien machte 1990 den ersten Schritt und erklärte seinen Teil des Deltas zum Biosphärenreservat. Ein paar Jahre später folgte die Ukraine, die einen Fünftel des Deltas beheimatet. 1993 schlussendlich nahm die UNESCO das heute grösste Biosphärenreservat Europas in die Liste des Weltnaturerbes auf.
Chilia ist der wasserreichste Arm der drei Donauarme
Von Tulcea aus schlängeln sich drei Donauarme durch das weitläufige Gebiet und schaffen Orientierung. Der nördliche, Chilia, ist der wasserreichste Arm und gleichzeitig Staatsgrenze zu Bulgarien. Daran entlang reihen sich bulgarische Hafenstädtchen wie etwa Ismail mit seinen Parkanlagen und der schmucken Altstadt. Sulina heisst der mittlere Arm; er wurde am meisten begradigt und ist für die Grossschifffahrt wichtig. Hier finden sich gleichzeitig einige der touristisch am stärksten frequentierten Orte. Etwa das gleichnamige Städtchen Sulina an der Mündung zum Schwarzen Meer, wo nebst viel Geschichte auch ein langer Sandstrand auf die Besucher wartet. Oder Crișan. Von dort starten viele geführte Bootsfahrten in die Nebenarme. Zum Beispiel nach Mila 23, ein Dorf 23 Meilen von Sulina entfernt. Tipp: Hier unbedingt die traditionelle säuerliche Fischsuppe «Borş pescaresc» probieren! Von Crișan aus gelangt man aber auch zum Letea Wald, einem subtropischen Urwald auf einer Sandbank, Heimat mächtiger Eichen und wilder Pferde. Nur eines von über 30 Ökosystemen im Donaudelta. Der dritte wiederum, der Sfântu-Gheorghe-Arm, präsentiert sich etwas weniger geschäftig als die anderen zwei und verläuft auch noch weitestgehend in Mäandern. Umso ungestörter kann man hier «Natur pur» geniessen. Natürlich ebenfalls vom Wasser aus, geteerte Wege sucht man im Delta vergebens.
110 Fischarten und 300 Vogelarten leben im Donaudelta
Langsam gleitet man im Schiff, Boot oder Kanu über die Donauarme und Seen, vorbei an Auenwäldern und Deichen, Sümpfen und schwimmenden Inseln, riesigen Seerosenteppichen und endlosen Schilflandschaft en; rund 70 Prozent der Vegetation im Delta ist von teilweise sechs Meter hohem Schilf geprägt. Ein wichtiger Wirtschaftszweig: Das Schilf wird zum Beispiel für Dächer nach Westeuropa exportiert. Einkommen bringt ausserdem die Fischerei. 110 Fischarten leben im Delta, davon 75 Süsswasserfische. Einer der wichtigsten Fische ist dabei der Stör. Der auch wegen seiner Eier, des Kaviars, mancherorts selten gewordene Fisch findet im Biosphärenreservat wieder Laichplätze. Ebenfalls beliebt ist der Donauhering, gleich wie Hecht, Zander, Wels und viele mehr. Rund 15 Prozent der Bevölkerung im Delta lebt noch vom Fischfang, darunter viele Lipowaner. Die altgläubigen orthodoxen Christen, die einst aus Russland geflüchtet sind, pflegen heute als grösste Minderheit im Donaudelta ihre Traditionen.
Grösste Pelikankolonie im Donaudelta von Europa
An der reichen Fischwelt erfreuen sich aber auch die Pelikane. Früher die grössten Feinde der Fischer, sind sie heute geschützt und Wahrzeichen des Biosphärenreservats. Schliesslich ist die Pelikankolonie im Donaudelta mit über 7000 Rosapelikanen und rund 700 Krauskopfpelikanen die grösste Europas. Besonders gut lassen sie sich in einem der Vogelreservate beobachten, vor allem zur Brutzeit in den Monaten Mai und Juni. Aber auch immer wieder unterwegs. Und nicht nur sie: Das Donaudelta ist ein Paradies für Hobby-Ornithologen. Gut bedient ist, wer auf seiner Vogelexpedition Experten mit geschulten Augen mit an Bord hat. Und Feldstecher. Denn zu entdecken gibt es nebst den majestätischen Pelikanen zum Beispiel auch die 20 Zentimeter kleinen Eisvögel. Und die unterschiedlichsten Schwäne, Wildenten, Gänse, Kormorane, Reiher, Schwalben, Greifvögel … Über 300 Vogelarten geniessen die Vorzüge des Deltas. Nicht alle von ihnen dauerhaft : Gleich sechs Vogelzugrouten führen durch die Region. Und so gönnt sich gut ein Drittel der Vögel hier einfach vorübergehend eine erholsame Zeit. Wer einmal im Donaudelta war, weiss wieso.
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2021, Thomas Brugisser, Fotos Adobestock