Es ist still geworden in den Wäldern des Landschaftsparks Binntal. Das Summen und Zirpen der Insekten ist verstummt. Die Vögel haben aufgehört zu singen. Die Pfiffe der Murmeltiere bleiben aus. In den Bergen liegt oft meterhoher Schnee, in den Nächten herrscht eisige Kälte, Nahrung ist schwer zu finden. Da fragt man sich, wie die Bergtiere eigentlich den Winter verbringen.
NATURZYT geht auf Spurensuche und erkundet mit der Biologin Brigitte Wolf vom Landschaftspark Binntal, wie die Tiere den Winter im Park verbringen. Eine Strategie vieler Vögel ist es, der kalten Jahreszeit einfach zu entfliehen. Die Zugvögel fliegen im Herbst nach Südeuropa, Nordafrika oder noch weiter. Kürzere Wanderungen unternehmen die sogenannten Vertikalzieher wie Alpendohle oder Alpenbraunelle, die im Park leben. Das sind Hochgebirgsvögel, die im Winter in Täler und Dörfer hinunterkommen. Auch ein täglicher «Pendelverkehr» zwischen Berg und Tal lässt sich beobachten. Doch längst nicht alle Vögel verlassen uns im Herbst. Die meisten bleiben auch im Winter bei uns, darunter so kleine Geschöpfe wie das Wintergoldhähnchen, das in den Bergwäldern zu Hause ist. Die nur wenige Gramm schweren Vögelchen ernähren sich auch im Winter von Insekten, die sie in Ritzen und Spalten von Rinden, Wurzeln oder Moosen finden. Kleine Tiere – so nehmen wir an – haben es im Winter besonders schwer, erzählt uns Brigitte Wolf. Dabei kann ihre geringe Körpergrösse sogar ein Vorteil sein. Sie kommen an Orte hin, wo grosse Tiere keine Chance haben. So bewegen sich die Mäuse im Winter oft nicht auf, sondern unter dem Schnee. In der Krautschicht zwischen Boden und Schnee fällt die Temperatur nie weit unter null Grad.
Iglu und Schneeschuhe erleichtern das Überleben
Etwas grössere Tiere können sich nicht einfach unter den Schnee verkriechen. Das Schneehuhn lässt sich bei Schneefall aber einfach einschneien und verharrt in seinem «Iglu», in dem die Temperatur nicht so weit sinkt wie ausserhalb, bis das Wetter wieder besser ist. Auch sonst ist das Schneehuhn hervorragend an das Leben im Winter angepasst. Es wechselt im Herbst sein braunes Sommerkleid gegen ein schneeweisses Federkleid, wodurch es in der Schneelandschaft hervorragend getarnt ist. An den Füssen hat es besonders viele Federn, die ein Einsinken im Schnee verhindern. Ganz ähnlich verhält sich der Schneehase, der im Herbst ebenfalls sein Kleid wechselt und auch mit «Schneeschuhen» ausgerüstet ist. Dass es dem Schneehasen und allen andern Tieren nie zu kalt wird, dafür sorgt ein dicker Pelzmantel. Vor allem Raubtiere wie Hermelin, Marder, Fuchs, Dachs und Luchs besitzen im Winter ein besonders dichtes Fell mit viel Unterwolle. Aber auch die Huftiere wie Steinbock und Gämse wechseln im Herbst und Frühling ihr Fell.
Fressen, fressen und fressen oder Vorräte anlegen
Wer den Winter nicht schlafend verbringt wie das Murmeltier, verbraucht in der kalten Jahreszeit besonders viel Energie. Die meisten Tiere legen sich vor Einbruch des Winters zwar möglichst grosse Fettreserven an, dennoch reichen diese nicht bis zum Frühling. Da Nahrung im Winter besonders knapp ist, verbringen die Tiere deshalb oft den ganzen Tag mit der Suche danach. Sie halten sich dabei gerne an Sonnenhängen, und vom Wind schneefrei gefegten Rippen und Rücken auf. Einige Tiere legen sich für den Winter Vorräte an. Das Eichhörnchen etwa, das den Winter je nach Wetter abwechselnd schlafend und wach verbringt, versteckt im Herbst zum Beispiel Haselnüsse. «Weltmeister» im Vorräteanlegen und vor allem im Wiederfinden ist jedoch der Tannenhäher. Im Herbst sammeln die braunweiss gesprenkelten Vögel Tausende von Arvennüsschen und verstecken sie an unterschiedlichen Orten. Dank einem phänomenalen Gedächtnis finden sie die Vorräte auch unter meterhohem Schnee wieder. Für einige wenige Tiere bringt der Winter sogar Nahrung im Überfluss. Der Fichtenkreuzschnabel, ein finkengrosser Vogel mit überkreuztem Schnabel, ernährt sich von allem von Föhren- und Tannensamen, die im Winter reif werden. So kommt es vor, dass die Kreuzschnäbel mitten im Winter ihre Jungen aufziehen.
Während im Sommer eine reichhaltige Flora und Fauna im Landschaftspark zu beobachten ist, verbringen die Blumen beziehungsweise deren Kraut den Winter unter einer dicken Schneedecke. Dennoch können einige Tiere mit etwas Glück auch im Winter beobachtet werden. Und wenn die Tiere selbst sich nicht zeigen, dann verraten die Spuren im Schnee ihre Anwesenheit.
Landschaftspark Binntal - Wintereinstandsgebiet für Huftiere
Im Landschaftspark Binntal leben alle vier Huftierarten der Schweiz: Steinbock, Gämse, Rothirsch und Reh. An den steilen sonnigen Südhängen, wo der Schnee auch im Winter nie lange liegen bleibt, finden die Huftiere ideale Bedingungen, die kalte Jahreszeit zu überleben. Sehr gut lassen sich diese Tiere zum Beispiel zwischen Binn und Fäld beobachten. Von der Strasse aus kann man ihnen mit dem Fernrohr beim Äsen zuschauen. Im Landschaftspark Binntal leben aber auch Fuchs, Marder, Schneehase, Birkhuhn, Schneehuhn usw. Wie für die Huftiere ist der Winter für alle Tiere eine schwierige Zeit. Futter ist Mangelware. Die Tiere müssen von ihren Reserven zehren, die sie sich im Sommer und Herbst angefressen haben. Es ist deshalb wichtig, dass sie möglichst wenig gestört werden; denn wenn sie fliehen müssen, verbrauchen sie viel wertvolle Energie. Bei unseren Ausflügen im Winter sollten wir deshalb Rücksicht auf die Wildtiere nehmen und ein paar Regeln beachten:
- Beachten Sie Wildruhezonen und Wildschutzgebiete – sie sind Rückzugsgebiete für Wildtiere
- Bleiben Sie im Wald auf den markierten Routen und Wegen – so können sich Wildtiere an Menschen gewöhnen
- Meiden Sie Waldränder und schneefreie Flächen – sie sind die Lieblingsplätze der Wildtiere
- Führen Sie Hunde an der Leine, insbesondere im Wald.
- Wenn Sie Tiere sehen, verhalten Sie sich ruhig und lassen ihnen Zeit, sich zurückzuziehen
Frühling im Landschaftspark Binntal
Wenn die ersten warmen Sonnenstrahlen, die Schneedecke zum Schmelzen bringen und die Temperaturen wieder steigen, erlebt man im Landschaftspark Binntal eine grosse Vielfalt an Tieren und Pflanzen. Das Binntal gilt unter Naturkennern als Tal voller verborgener Schätze. Wer dann mit offenen Augen durch den Landschaftspark geht, wird viele kleine und grosse Kostbarkeiten finden. Im Landschaftspark Binntal wurden bis heute 184 Tier- und Pflanzenarten der Roten Liste entdeckt!
Die Vielfalt an Lebensräumen im Landschaftspark Binntal ist beachtlich: Flachmoore, trockene Magerrasen, dunkle Fichtenwälder, karge Alpweiden, saftige Wiesen, Gletschervorfelder, lichte Föhrenwälder, dunkle Bergseen, Felsensteppen, alte Äcker und alpine Auen, um nur einige zu nennen, bilden ein abwechslungsreiches und vielfältiges Mosaik.
Natürliche Faktoren, wie das Klima, die Exposition und der vielfältige geologische Untergrund, führten zu dieser Vielfalt. Dazu kommt die traditionelle Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen, die die hohe Biodiversität zu einem grossen Teil überhaupt erst ermöglichte.
Bekannt ist das Binntal vor allem für die vielen seltenen Blumen. Auf dem Hügel Kalberweid bei Grengiols blüht in der zweiten Maihälfte die Grengjer Tulpe, eine Wildtulpe, die weltweit nur hier blüht. In der Twingischlucht zwischen Ausserbinn und Binn wächst die Walliser Levkoje. Weiter hinten im Tal leuchtet im Juni der Frauenschuh im lichten Wald. Und im Sommer stösst
man in den Bergen mit etwas Glück neben den bekannten Alpenblumen auch auf die Alpenakelei, die Goldprimel, die Ausgeschnittene Glockenblume, Hallers Primel, Schleichers Enzian, den Weiden-Baldrian usw.
Aber auch unter den Vögeln, Schmetterlingen und Heuschrecken finden sich im Park viele bedrohte Arten. Eine wirkliche Rarität bildet jedoch die wenige Millimeter grosse Rötliche Bernsteinschnecke, welche in der Schweiz nur ganz im Osten in Graubünden und in der Twingischlucht lebt.
Tag der Mineralien
Das Binntal ist in Insiderkreisen bekannt für seine Mineralien. An die 200 verschiedene Mineralien wurden im Tal bisher gefunden. Die Mineraliengrube Lengenbach gehört zu den zehn berühmtesten Mineralienfundstellen der Welt. Im charakteristischen weissen Dolomit des Lengenbachs führte ein spezieller Mineralisierungs-Prozess zur Bildung von höchst ungewöhnlichen und einzigartigen Mineralien. Mehr als ein Dutzend davon wurden nirgendwo sonst auf der Welt entdeckt. Einige tragen Namen aus der Region, wie Lengenbachit, Binnit, Wallisit oder Cervandonit.
Der Frühling kann kommen – doch bevor es so weit ist, gehen wir rücksichtsvoll durch den Winter.
Weitere schöne Naturregionen im Winter und Winterwanderungen die schön sind:
Wanderung in den Freiburger Voralpen mit Sicht auf die Gastlosen
Wintererlebnisse in der Schweiz
Natur im Winter in der Ferienregion Schwyz
NATURZYT Ausgabe Dezember 2013, Text Brigitte Wolf, Michael Knaus, Fotos Brigitte Wolf