Die heimlichen Untermieterinnen sind plötzlich ausgezogen. Den ganzen Sommer über waren die typischen Spuren auf Fenstersims und Balkon unübersehbar: «Chegeli», kleine Kotkrümel. Sie haben verraten, wo sich die Winzlinge tagsüber versteckten. Hinter Wandverschalungen, unter Schindeln, in Rollladenkästen und verkrochen unter Dachziegeln oder Flachdächern.
Jetzt im September sind nun alle Jungtiere flügge und selbstständig genug für einen Wohnungswechsel. Während sich die einen Fledermausarten auf den Wegzug ins Winterquartier Richtung Alpen vorbereiten, treffen andere nun in Scharen aus Nordosteuropa bei uns in der Schweiz ein, um hier im Mittelland zu überwintern.
Doch vor dem grossen Schlaf geht nochmals so richtig die Post ab: Bei den Fledermäusen ist im Herbst Paarungszeit! Die Männchen legen sich mächtig ins Zeug, um den Weibchen mit Showflügen und Balzgesängen zu imponieren. An lauen Septemberabenden lassen sich Fledermäuse darum in der Dämmerung zu Dutzenden beobachten, besonders eindrücklich an See- und Flussufern, am Waldrand oder im Schein der Strassenlampen.
DIE Fledermaus gibt es nicht. In der Schweiz kennt man 30 Arten, was einem Drittel der einheimischen wildlebenden Säugetierarten entspricht. Und so unterschiedlich wie sie aussehen, so verschieden sind ihre Lebensraumansprüche, ihre saisonale Präsenz und eben auch ihr Paarungsverhalten. Im Siedlungsraum fallen hauptsächlich die Zwergfledermäuse (Pipistrellus pipistrellus) auf. Sie gebären versteckt in Spalten an Gebäudefassaden im Juni und Juli Junge. Oft sind es in einer solchen Wochenstube 50 und mehr erwachsene Tiere, ausschliesslich Weibchen, denn männliche Zwergfledermäuse leben den Sommer über solitär. Jede Mutter, selber kaum so gross wie eine Walnuss, bringt meist nur einen einzigen, etwa bienengrossen Sprössling zur Welt. Sie baut ihm kein Nest und trägt auch kein Futter ein, sondern säugt ihn tagsüber im engen Versteck. Dort hält er sich selber mit Fuss- und Daumenkrallen fest, wenn seine Mutter zur nächtlichen Jagd ausfliegt. Nach vier bis sechs Wochen ist das Junge ebenso gross wie die Mutter und flügge und frisst nun selbstständig Insekten. Kurz nach Sonnenuntergang fliegen Zwergfledermäuse zur Jagd aus. Oft sieht man sie ums Haus und an den Strassenlampen herumflattern. Sie jagen aber auch an Waldrändern und an Gewässerufern nach Mücken, Fliegen, Schnaken und Faltern. Pro Nacht frisst eine Zwergfledermaus gut und gerne 2000 Kleininsekten, was rund der Hälfte ihres eigenen Körpergewichts entspricht.
Zwergfledermäuse besiedeln erfolgreich das ganze Mittelland und die Alpentäler und sind die im Siedlungsraum am häufigsten zu beobachtende Fledermausart. Im Herbst scheinen sie Richtung Alpen zu ziehen und werden von den paarungsbereiten Männchen erwartet. In den Voralpen gibt es kaum einen Gaden, um den nicht ein Zwergfledermausmännchen nimmermüde im Showflug balzend seine Runden drehen würde. Immer wieder fliegt es lockend eine Spalte in der Fassade an, um den vorbeiziehenden Weibchen anzuzeigen, dass es hier seit Wochen ein «Hochzeitsquartier» gegen alle anderen rivalisierenden Männchen verteidigt.
Die Rauhautfledermaus - ein kleiner Winzling
Doch im Herbst wird unser Land auch attraktiv für Fledermausarten, welche ihre Jungen in Nordosteuropa aufgezogen haben. Zu ihnen gehört die Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii). Auch sie ist ein Winzling mit einer Flügelspannweite bis 24 cm und einem Gewicht von rund 8 Gramm. Die Jungenaufzucht findet mehrheitlich im Nordosten Europas statt, etwa im Baltikum, in Weissrussland und in Ostdeutschland. Im Spätsommer beginnen die Wanderflüge über Hunderte von Kilometern nach Südwesten, oft auch mit Ziel Schweiz. Hier ist die Rauhautfledermaus darum hauptsächlich Wintergast. Zu Tausenden entfliegen diese kleinen Säugetiere so alljährlich dem bitterkalten Winterwetter im Nordosten Europas. Fledermäuse halten einen Winterschlaf, weil in der kalten Jahreszeit nicht genügend Beuteinsekten verfügbar sind. Die herbstlichen Wanderflüge aus dem Nordosten in die Wintereinstandsgebiete im Südwesten ermöglichen den Tieren einen Winterschlaf in Gebieten, in denen sie signifikant weniger Frostnächte zu überdauern haben, als sie das in ihren Geburtsregionen müssten. So sparen sie Energie und erhöhen ihre Überlebenswahrscheinlichkeit, denn in jeder Frostnacht müssten sie übermässig viel vom im Herbst angefressenen Reservefett in Körperwärme umsetzen, um nicht vollkommen auszukühlen.
Rauhautfledermäuse balzen zwar auch im Showflug, aber lieber versteckt vom «Hochzeitsquartier» aus, das dann später auch gleich als Winterquartier dienen kann. Sie überwintern gerne in Brennholzstapeln. An besonnten und vom Wind geschützten Hausfassaden kann man Brennholzstapel speziell für Rauhautfledermäuse aufschichten und über den Winter stehen lassen. Eine Miniaturbeige von zwei Dutzend Cheminéeholzscheitern genügt bereits als Quartier und wird gerne besiedelt. Sogar auf Terrassen im siebten Stockwerk wurden Rauhautfledermäuse im Winter schlafend zwischen Cheminéeholzscheitern aufgefunden.
Der Lockruf des Grossen Abendsegler - eine der grössten Feldermäuse
Ein «Riese» unter den im Herbst balzenden und hier in der Schweiz überwinternden Fledermausarten ist der Grosse Abendsegler (Nyctalus noctula). Er ist nicht nur eine der grössten, sondern auch eine der am schnellsten fliegenden Fledermausarten und fliegt kurz nach Sonnenuntergang, also sehr früh in der Dämmerung aus. Wegen seiner schmalen Flügel, und weil er hoch am Himmel, oft über Baumwipfelhöhe fliegt, wird er auch gerne mit Schwalben oder Spyren (Mauerseglern) verwechselt.
Abendsegler sind oft «Nachmieter» in Spechthöhlen, denn sie können selber keine Baumstämme aushöhlen. Sie sind also abhängig vom Vorkommen verschiedener Spechtarten und diese ihrerseits von einem reichlichen Angebot an stehendem Alt- und Totholz – d.h. Bäume älter als 120 Jahre – im Wald, in Parkanlagen und Alleen. Notwendig wären rund 40 solcher Spechthöhlenbäume pro 10 ha Wald. Bevorzugte Wälder sind Laubwälder mit guter Durchmischung, was die Artenzusammensetzung und die Altersstruktur anbelangt. Und bevorzugte Baumarten sind Eiche, Wildkirsche und Buche. Monotone Nadelholzbestände oder Wälder mit einheitlicher Altersstruktur sind für diese Fledermausart qualitativ ungenügend.
Abendsegler werden rund ein Dutzend Jahre alt und die weiblichen Grossen Abendsegler migrieren alljährlich zwischen Sommer- und Wintereinstandsgebieten hin und her. Sie ziehen ihr Junges im Sommer mehrheitlich in Nordosteuropa auf und treffen ab September wieder hier bei uns ein, um sich zu paaren und zu überwintern. Doch die Männchen verbleiben mehrheitlich in der Schweiz. Im August und September, vor dem Eintreffen der Weibchen, bezieht jedes geschlechtsreife Männchen ein «Hochzeitsquartier», in der Regel eine Baumhöhle, selten eine Fassadenspalte. Es verteidigt diese gegen andere Männchen. In der Dämmerung beginnt es, aus dem Baumhöhlenloch herausschauend, mit lauten Balzrufen die vorbeifliegenden Weibchen auf sich aufmerksam zu machen. Es ist eine eigentliche «Bräutigamschau», denn es sind die Weibchen, welche sich nun die Männchen auswählen. Wahlkriterium ist die Fitness des Männchens, d.h. seine Fähigkeit, die Baumhöhle erfolgreich gegen Rivalen zu verteidigen. Erfolgreiche Männchen locken pro Nacht ein Harem von fünf oder sieben Weibchen ins «Hochzeitsquartier». Die Weibchen verpaaren sich aber mit mehreren von ihnen auserwählten Männchen. So «sammeln» sie ein ganzes Set von Samen erfolgreicher Männchen. Und sie speichern diese Samen die ganze Winterschlafzeit über im Uterus. Erst im kommenden Frühjahr kommt es dann zur Befruchtung durch den überlebensfähigsten Samen – und dann fliegen die trächtigen Weibchen wieder nach Nordosteuropa, um dort in diesen weiten und insektenreichen Landschaften ihr Junges aufzuziehen.
Fledermausschutz in der Schweiz
Um viele der 30 einheimischen Fledermausarten ist es schlecht bestellt. Ihnen fehlen in der intensiv genutzten Agrarlandschaft die Beuteinsekten. Die im Rahmen von Meliorationen eliminierten Sümpfe, Weiher, Flussaltläufe und Auenwälder produzierten einst grosse Biomassen an Insektenarten – deren Larven sich im Wasser entwickelten – und diese bildeten über die ganze Saison hinweg eine verlässliche Nahrungsgrundlage für viele Fledermausarten. Wegen der intensiven und monotonen Bewirtschaftung der Landschaft durch die Land- und Forstwirtschaft sind auch grosse Arten von Nachtfaltern, Schwärmern und Käfern selten geworden. Kommt hinzu, dass viele Fledermausarten darauf spezialisiert sind, strukturgebunden in dunklen und ruhigen Lebensräumen Beute zu suchen. Ihnen zerschneidet ein immer dichteres Strassennetz die Lebensräume und die zunehmende Lichtverschmutzung lässt für sie ganze Landschaftsräume unnutzbar werden.
Die «Wohnungsnot» macht den Fledermäusen zusätzlich zu schaffen: Es fehlt an stehendem Totholz mit Unterschlupfmöglichkeiten im Wald und in den einst ausgedehnten Hochstammobstgärten. Und die heutige energiebewusste Bauweise mit hermetisch abgedichteter Gebäudehülle wie auch der Ausbau der Dachstöcke zu Wohnzwecken bietet den im Siedlungsraum einst häufigen Fledermausarten kaum mehr Unterschlupfmöglichkeiten.
Fazit: Der Hälfte der einheimischen Fledermausarten geht es schlecht. Auf der Roten Liste sind dann auch drei Arten als «vom Aussterben bedroht» und ein Dutzend weitere als «stark gefährdet» oder «gefährdet» aufgeführt. Seit 30 Jahren kümmern sich der Bund und die Kantone intensiv um die Förderung der Fledermäuse. Kantonale Fledermausschutz-Beauftragte und rund 500 ausgebildete ehrenamtliche Lokale Fledermausschützende setzen den bundesrechtlichen Schutz der Fledermäuse vor Ort um. Kompetenzzentrum und Drehscheibe der fledermauskundlichen
Information ist die Stiftung zum Schutze unserer Fledermäuse in der Schweiz, welche dank der Unterstützung durch ihre Gönnerinnen und Gönner und den Zürcher Tierschutz auch eine Notpflege-Station für Fledermausfindlinge im Zoo Zürich betreiben kann.
Spenden sind herzlich willkommen: PC-Konto: 80-7223-1, IBAN: CH71 0900 0000 8000 7223 1
Kontakt und mehr Informationen: Stiftung Fledermausschutz, Zürichbergstr. 221, 8044 Zürich, Telefon 044 254 26 80, www.fledermausschutz.ch
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NATURZYT Ausgabe September 2014, Text/Fotos Hans-Peter B. Stutz