Zwergfledermaus

Schon bald haben die Fledermausweibchen viel zu tun, denn im Sommer ziehen sie ihre Jungen gross. Auch in unserer Fledermaus-Notpflegestation herrscht dann Hochbetrieb. Menschliche Ersatzmütter und -väter springen ein bei der Aufzucht von verwaisten Fledermaus- Jungen.

Nur knapp ein Gramm wiegt eine Zwergfledermaus bei der Geburt. Das klingt nach sehr wenig, macht aber fast einen Drittel des Körpergewichtes der Mutter aus. Zu Beginn nackt und blind, entwickelt sich das winzige Geschöpf innerhalb weniger Wochen zu einer flugfähigen Fledermaus, die ihre Beute selbst erjagen muss. Doch bis dahin ist es auf Muttermilch und einen geschützten Unterschlupf angewiesen. Tagsüber halten sich Mutter und Jungtier in sogenannten Wochenstuben auf. Das sind warme, geschützte Verstecke, wo sich ein paar wenige bis einige hundert Weibchen einer Fledermausart zusammenfinden, um ihren Nachwuchs auszutragen und aufzuziehen. Nachts fliegen die Mütter auf die Jagd, wobei sie ihre Jungen in der geschützten Wochenstube zurücklassen. Meist gebären unsere einheimischen Fledermäuse nur ein einziges Jungtier – manchmal können es auch Zwillinge sein.

Junge Langohrfledermaus wird mit flüssiger Nahrung von Hand gefüttert
Ein junges Braunes Langohr wird mithilfe eines kleinen Spritzenaufsatzes mit spezieller Aufzuchtmilch vorsichtig gefüttert.

Fledermaus-Jungtiere in Not

Die Wochenstuben vieler Fledermausarten befinden sich in engen Spalten an der Fassade von Gebäuden wie hinter Wandverschalungen, Dachabschlüssen, im Zwischendach oder in Rollladenkästen. Manchmal krabbelt ein Fledermaus-Jungtier – von Hunger oder Neugierde getrieben – aus seiner Wochenstube und fällt auf den Boden, wo es im besten Fall schnell von einer aufmerksamen Person gefunden wird. Im schlimmsten Fall fällt es der nächsten Katze in die Krallen, leider ein häufiges Schicksal. Kann das noch flugunfähige Junge nicht von der Mutter abgeholt werden oder selbst wieder in den sicheren Unterschlupf zurückkrabbeln, liegt es oft hilflos am Boden. Genau solche Fälle beschäftigen die Fledermaus-Notpflegestation der Stiftung Fledermausschutz im Sommer stark. An Rekordtagen melden sich über 100 Personen täglich auf dem Fledermausschutz-Nottelefon 079 330 60 60und bitten um Hilfe. Da vielen Findern und Finderinnen nicht bekannt ist, dass an ihrem Haus Fledermäuse ihre Jungen aufziehen und die Wochenstuben kaum auffallen, gehört die Aussage, dass die kleine Fledermaus «plötzlich vom Himmel gefallen» ist, zum Alltag am Nottelefon.

Junge Alpenfledermaus ganz erschöpft auf Frottetuch

Fledermausschutz-Nottelefon gibt Hilfestellung beim finden eines Jungtieres

Mit einem Anruf ans Fledermausschutz-Nottelefon und anhand von Bildern des gefundenen Jungtieres können unsere ausgebildeten Fledermaus Expertinnen am Telefon einschätzen, wie es um denkleinen Flatterer steht. Ist das Jungtier in gutem Zustand und die Wochenstube bekannt und zugänglich, kann das Tiervorsichtig in sein Versteck zurückgesetzt und sogleich wieder mit der Mutter vereint werden. Ist die Wochenstube zwar unbekannt, das Wetter aber gut und das Jungtier klein genug, um von der Mutter im Flug getragen zu werden, kann ein Abholversuch unternommen werden. Dabei wird das Jungtier bei Sonnenuntergang auf einem sogenannten «Kuschelturm» – einem umgedrehten Glas mit einem darübergestülpten Socken in einer Schüssel – katzensicher am Fundort dem Muttertier angeboten. Mit etwas Glück werden die Rufe der kleinen Fledermaus von ihrer Mutter gehört und es wird vom Kuschelturm abgeholt. Ein eindrückliches und unvergessliches Erlebnis für alle Beteiligten! Leider haben aber nur wenige Jungtiere so viel Glück. Viele unserer kleinen Fledermäuse sind beim Fund bereits geschwächt oder verletzt, das Muttertier ist verstorben oder hat aufgrund eines Mangels an Beuteinsekten das Jungtier zurücklassen müssen. Gerade im vergangenen, besonders regnerischen Sommer kam Letzteres sehr häufig vor. All diese Tiere werden so schnell wie möglich in eine Fledermaus-Notpflegestation gebracht und fachgerecht von Hand aufgezogen.

Pflege von über 300 Jungen Fledermäuse pro Jahr in der Fledermaus-Notpflegestation

Im letzten Jahr fanden 317 verwaiste, kranke oder schwache Jungtiere den Weg in die Fledermaus-Notpflegestation der Stiftung Fledermausschutz am Zoo Zürich und wurden von speziell ausgebildeten Jungtierpflegern/-pflegerinnen mit viel Geduld und Sorgfalt aufgezogen. Die Pflege von Fledermäusen ist anspruchsvoll und setzt eine Ausbildung durch die Stiftung Fledermausschutz und eine Bewilligung des zuständigen Amtes voraus. Die Aufzucht dieser kleinen, herzigen Wesen erfordert zudem viel Know-how, Fingerspitzengefühl und ist sehr zeitintensiv. Zu Beginn benötigen junge Fledermäuse während des Tages alle 1–2 Stunden eine kleine Menge an spezieller Aufzuchtmilch. Mit winzigen Spritzenaufsätzen werden ein paar Tropfen Milch vorsichtig gefüttert und die Verdauung mit Wärme und einer Massage des Bauches unterstützt. Je grösser die Tiere werden, desto grösser wird auch ihr Hunger. Kurz vor dem Flüggewerden, wenn die Milchzähne durch die bleibenden Zähne ersetzt werden, wird die Ernährung langsam auf Insekten umgestellt. Eine herausfordernde Aufgabe für unsere menschlichen Pflegepersonen, da die Jungtiere sich unterschiedlich schnell entwickeln und die Umstellung nicht von jeder Fledermaus gleich schnell gelernt wird. Fledermaus-Jungtiere werden nie einzeln aufgezogen. Die sozialen Tiere fühlen sich in Gesellschaft mit anderen Jungtieren bedeutend wohler und können sich gegenseitig besser warmhalten. Der grosse Aufwand der Handaufzucht lohnt sich – durchschnittlich können etwas mehr als zwei Drittel aller Jungtiere erfolgreich aufgezogen und wieder in die Natur entlassen werden!

Vier junge Fledermäuse halten sich an einem Frottetuchkuschel-Turm fest
Jungtiere der Fledermaus- Notpflegestation auf dem Kuschelturm nach der Fütterung.

Junge Fledermäuse in der Notpflege-Station müssen langsam fliegen lernen

Wird die junge Fledermaus langsam erwachsen, muss sie ihre Muskeln für das Fliegen trainieren. Dabei unternimmt sie Trockenübungen in ihrem Versteck, streckt immer wieder ihre Flügel aus und flattert an Ort und Stelle. Für uns sehen diese Bewegungen aus, als würden die angehenden Flugakrobaten Liegestützen machen. Abhängig von der Fledermausart sind die Jungtiere nach durchschnittlich 4–8 Wochen bereit für ihren ersten Ausflug. In der Natur ist das eine sehr gefährliche Zeit für die Jungtiere. Wenn die ersten Flugversuche scheitern, kann das schnell das Todesurteil bedeuten. Bei unserer Handaufzucht haben die Jungtiere die Möglichkeit, ihre Flugkünste in einer Aussenvoliere der Notpflegestation zu optimieren. Dabei können sie gemeinsam mit anderen Pfleglingen während der Nächte erste Flug- und Jagdversuche in einem geschützten Umfeld unternehmen. Sobald die Flugfähigkeiten ausgereift sind, werden die aufgezogenen Fledermäuse wenn möglich wieder am Fundort freigelassen und erhalten somit eine zweite Chance auf ein hoffentlich langes Leben in der Natur.

Die Stiftung Fledermausschutz hat ein grosses Netzwerk von über 50 Pflegenden in der Schweiz

Nicht nur in der Fledermaus-Notpflegestation am Zoo Zürich bekommen die kleinen Nachtschwärmer eine zweite Chance. Mittlerweile hat die Stiftung Fledermausschutz ein grosses Netzwerk von über 50 ausgebildeten ehrenamtlichen Pflegenden in der ganzen Schweiz aufgebaut, die mit riesigem Engagement in verschiedenen Pflegestationen zahlreiche Fledermäuse aufziehen und pflegen. Die benötigten Ausbildungen werden von der Stiftung Fledermausschutz jährlich angeboten und rege genutzt. Auch in diesem Sommer starten über 25 neue Fledermaus-Pflegende in ihre wichtige Tätigkeit und tragen dazu bei, dass unseren einheimischen Fledermäusen in Not landesweit fachgerecht geholfen werden kann.

Die Stiftung Fledermausschutz

Das Hauptanliegen der Stift ung Fledermausschutz ist die Sympathiewerbung für Fledermäuse, denn nur wer Fledermäuse kennt, kann Fledermäuse schätzen und schützen. Die Stiftung Fledermausschutz ist die Drehscheibe für fledermauskundliche Informationen in der Deutschschweiz und im Tessin. Sie berät Behörden, Fachpersonen und die Bevölkerung bei der Umsetzung der bundesrechtlichen Schutzbestimmungen. Am Zoo Zürich unterhält sie die Ausstellung «Fledermaus-Welt» und bietet für die interessierte Bevölkerung zahlreiche Ausbildungslehrgänge und Events an, um Fledermäuse hautnah erleben zu können. Die Stiftung Fledermausschutz betreibt mit Unterstützung des Zoos Zürich und des Zürcher Tierschutzes das Fledermausschutz-Nottelefon und die Fledermaus-Notpflegestation. Darüber hinaus engagiert sie sich für die Umsetzung konkreter Schutzprojekte. Helfen Sie uns, unseren Fledermäusen zu helfen!
Spendenkonto: PC 80-7223-1, IBAN CH71 0900 0000 8000 7223 1
Stiftung Fledermausschutz
Zürichbergstrasse 221
8044 Zürich
Sekretariat: 044 254 26 80
Fledermausschutz-Nottelefon: 079 330 60 60
www.fledermausschutz.ch 

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NATURZYT Ausgabe Juni 2022, Text Katja Schönbächler, Fotos Stiftung Fledermausschutz

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