Schnee mit Pfad über die Berge im Emmental

Lust auf arktische Natur, Blockhüttenromantik und ein bisschen Abenteuer? Dann ist eine zweitägige Schneeschuhtour zur Hohganthütte genau das Richtige. Sie entführt einen in die winterliche Wildnis einer der grössten Moorlandschaften der Schweiz und in die Heimat von Schneehase und Auerhuhn – weit weg von der Zivilisation.

Wann haben Sie das letzte Mal ein Fondue auf dem Holzherd gekocht, die Stube mit dem Holzofen geheizt und Schnee geschmolzen, um Teewasser zu erhalten? Oder müsste die Frage eher lauten: «Haben Sie schon mal?» Egal. In der Hohganthütte wartet das einfache Leben auf naturverbundene Besucherinnen und Besucher. Wer sich auf das Abenteuer einlässt, erlebt viel Hüttenromantik, Freiheit und Einsamkeit im lichten Wald am Fuss von Hohgant und Furggengütsch. Das einfache Leben muss verdient sein. Wer in der Hohganthütte übernachtet, trägt sein Essen selber hoch. Der Aufstieg dauert, je nach Route, zwischen vier und fünfeinhalb Stunden. Der Weg ist ein Traum. Er führt durch eine der grössten Moorlandschaften der Schweiz, quert Bergföhren- und Fichtenwälder, und er bietet Aussicht vom Schibegütsch über das Brienzer Rothorn und Augstmatthorn bis zu den Berner Hochalpen.

Hohganhütte im Schnee bei Sonnenschein
Gemütliche Unterkunft in der Emmentaler Wildnis: Hohnganthütte

Kemmeriboden-Meringues zum Dessert

Start zur Tour ist in Kemmeriboden. Kaum hat man das Postauto verlassen, fühlt man sich um Jahrzehnte zurückversetzt. Der stattliche Emmentaler Landgasthof Kemmeriboden-Bad erinnert an Gotthelfs Zeiten; in den heimatgeschützten Gebäuden werden seit 1834 Gäste bewirtet. Damals kamen die Leute aber nicht zum Schneeschuhlaufen her, sondern zum Kuren in der Mineralquelle. Der Kurbetrieb wurde aufgegeben, heute lässt man es sich im Hotpot und in der Sauna gut gehen. Oder bei einer Meringue, für die der Kemmeriboden berühmt ist. Das süsse Gebäck mit Rahm liegt später im Aufstieg aber schwer im Magen. Da empfiehlt es sich, sich auf Tee oder Kaffee zu beschränken und im Hotelkiosk eine Packung Meringue zu kaufen – fürs Dessert in der Hütte.

Markiert durchs Schutzgebiet

Die erste halbe Stunde ist gemütliches Warmlaufen auf der Strasse angesagt. Wo sich die Schlucht weitet, können die Schneeschuhe angeschnallt und die Strasse nach rechts verlassen werden. Der Pfad führt hinauf zum Schärpfeberg. Pinkfarbene Stangen weisen die Richtung. 

Gewisse Winterrouten im Hohgantgebiet sind markiert. Die Region ist Lebensraum vieler Wildtiere. Steinbock, Gämse, Hirsch und Schneehase sind hier zu Hause, ebenso die selten gewordenen Auer-, Birk- und Schneehühner. Die Gegend zwischen Hohgant und Augstmatthorn ist als Vogelschutzgebiet von internationaler Bedeutung ausgezeichnet. Zudem wurden grosse Wildruhezonen ausgeschieden. Auf den markierten Routen dürfen sie begangen werden, und so tauchen wir bald ein in eine Landschaft, die von Tierspuren geradezu übersät ist. Wer wissen will, wer ausser ihm auch noch da ist, nimmt ein Tierspurenbuch mit. In der Gruppe, zum Beispiel auf einer geleiteten Schneeschuhtour, macht das Spurenrätseln am meisten Spass.

Schneepfad über Wiese zum Nolle bei Sonnenschein
Bilderbuchlandschaft im Aufstieg zur Nolle

In arktischer Landschaft unterwegs

Auf dem Schärpfenberg müssen wir uns entscheiden. Die direkte Route führt rechts weg und durch den Wald relativ steil hoch zur Hütte. Einiges länger, aber aussichtsreicher und moderater ansteigend ist der Weg über Nolle und Allgäuli. Bei schönem Wetter und genügend Zeit drängt er sich auf. Bis auf den Nolle ist man in arktisch anmutender Bilderbuchlandschaft weitgehend allein, dann teilt man sich kurze Zeit den Platz mit den Langläufern, die auf der Lombachalp gestartet sind. Wer im Schlussanstieg über die Alp Allgäuli zur Hütte im Abendlicht unterwegs ist, erlebt Winterstimmungen, die man nicht so schnell vergisst. Die Ruhe und Weite, die sich auftun, erinnern an Alaska oder Skandinavien.

Schneebedeckte Wiese und Pfad im Abendlicht am Hogant
Im Abendlicht wird die Landschaft um den Hohgant mystisch.

Wohliger Komfort - selbst gemacht

Bei der Hütte ist zwar die Tour zu Ende, das Tageswerk hingegen längst nicht vollbracht. Wer eine wohlige Stube und warmes Essen will, muss anpacken. Öfen einfeuern, Schnee im Topf schmelzen, Weg zum im Wald gelegenen WC-Häuschen spuren und sich in der Hütte einrichten stehen auf dem Programm. Später beweist man am Holzherd seine Kochkünste sowie seine Sozialkompetenz, wenn noch andere Gäste da sind. Die Hohganthütte bietet alles, was es für einen gemütlichen Aufenthalt braucht. Sie führt einem aber auch vor Augen, auf wie viele Annehmlichkeiten wir jeden Tag zurückgreifen, die nun nicht mehr verfügbar sind. Doch just diese Konzentration aufs Wesentliche ist es, die für tiefe Zufriedenheit sorgt, und so sinkt man nach getaner Arbeit müde und glücklich ins kalte Bett.

Schneeweg mit Tannen auf dem Brienzer Rothorn
Ausblick auf die Bergkette von Brienzer Rothorn und Augustmatthorn.

Mit Blick aufs Gipfelmeer

Wer am nächsten Tag beizeiten los will, muss früh aufstehen. Erst wenn die Hütte aufgeräumt und alles in Ordnung ist, macht man sich auf den Weg. führt zum Allgäuli, dann auf dem Gratweg über den Bollberg auf den Winterröscht. Beide Gipfel sind zwar unscheinbar, bieten aber grandiose Aussicht aufs Berner Gipfelmeer. Wer genug vom Laufen hat, steigt ab zur Lombachalp und bestellt den Kleinbus nach Habkern. Wer noch Kraft hat, gelangt über Schwendiegg ebenfalls ins Dorf. Ziel ist die Busstation im Zentrum – oder zuerst der Gasthof Bären, wo man sich für die Heimfahrt stärken kann. Wohlgemerkt, ohne vorher den Ofen einzuheizen und Schnee fürs Teewasser zu schmelzen.

Schneeschuhwanderer auf einem Pfad in den Bergen bei Sonnenschein
Angenehmes Schneeschuhgelände führt vom Keramikboden zur Hohganthütte.

Wild im Schnee – mit Respekt

Für Wildtiere ist die kalte Jahreszeit ein ständiger Kampf ums Überleben. Das Nahrungsangebot ist knapp, die Qualität der Nahrung schlecht, die Fortbewegung kräftezehrend. Wildtiere reduzieren deshalb ihre Aktivitäten auf ein Minimum, um den Energieverbrauch tief zu halten. 

Wer mit Schneeschuhen oder Tourenskis unterwegs ist, stösst zwangsläufig in den Lebensraum der Wildtiere vor. Kommt man ihnen zu nahe, reagieren sie mit Stress und Flucht; ihr Energieverbrauch erhöht sich markant. Muss ein Tier zu oft fliehen, wird es schwach, krank und stirbt. In den letzten Jahren hat insbesondere das Schneeschuhlaufen einen Boom erlebt. Kantone und Gemeinden haben deshalb zahlreiche Wildruhezonen und -schutzgebiete ausgeschieden. Sie schränken die Freizeitaktivitäten ein und gewähren so den Wildtieren ihre Ruhe. In den geschützten Gebieten muss man sich vielfach an die Sommerwege und Alpstrassen halten, oder die Behörden geben bestimmte Routen frei. Gewisse Zonen dürfen wiederum gar nicht betreten werden. 

Sich vorher informieren

Die Internetseiten www.wildruhezonen.ch und www.respektiere-deine-grenzen.ch helfen bei der Tourenplanung. Nebst zahlreichen Informationen zeigen sie eine Schweizer Karte, auf der alle Gebiete eingezeichnet sind. Ein Klick auf die jeweilige Zone erläutert deren Schutzbestimmungen. Im Gelände sind Wildruhezonen zum Teil signalisiert und frei gegebene Wege ausgeschildert. Wo Markierungen fehlen und ein Weggebot gilt, halte man sich an die Sommerwanderwege. Mit seinem Verhalten kann man auch ausserhalb der Ruhezonen auf Wildtiere Rücksicht nehmen. Schneefreie Flächen und Waldränder meiden, im Wald auf bereits angelegten Spuren bleiben und Hunde an die Leine nehmen.

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NATURZYT Ausgabe Dezember 2013, Text/Fotos Daniel Fleuti

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