Vor Jahrmillionen haben die Alpen kräftig geschoben und die Lägern geformt, den östlichsten Juraausläufer. Heute führt der einzige Bergweg des Kantons Aargau über den Rand der steil aufgerichteten Felsplatte.
Zugegeben: Der grosse Wanderwegweiser am Bahnhof Baden macht ein wenig stutzig. Rund dreissig Tourenziele schlägt er vor – Turgi, Koblenz, Zurzach, Würenlos, Kloster Fahr oder das ferne Zürich – und alle sind auf einfachen Wanderungen zu erreichen. Typisch für das Mittelland. Dielsdorf und die Lägern jedoch sind als Bergweg ausgeschieden, die aus den Bergen vertraute weiss-rot-weisse Markierung ist nicht zu übersehen.
Balancieren auf der Lägern
Zwei Stunden später wissen wir, dass die Kennzeichnung keineswegs übertrieben ist. Wir balancieren wie auf Messers Schneide über dem Aargauer Häuser- und Strassenmeer, die Lägern, der schmale Höhenzug zwischen Baden und dem zürcherischen Dielsdorf, entpuppen sich als steil aufragende Platte, entlang deren Kante unser Weg verläuft. Die Füsse suchen nach Halt auf dem zerklüfteten Jurakalk, wo nötig helfen die Hände beim Finden des Gleichgewichts. Viel Platz steht dazu nicht zur Verfügung. Der Grat fällt links und rechts ab in den Wald, der wegen seines im April noch fehlenden Blätterdachs die Sicht bis auf den Talboden freigibt. Am Horizont wären der Schwarzwald und die Alpen zu sehen. Wären, hätte sie der Frühlingsdunst nicht in Watte gepackt. Dafür lacht uns ein Specht entgegen, der über den Baumwipfeln seine Runden zieht.
Auf der Ferne betrachtet, erscheinen die Lägern wie ein gewöhnlicher Hügelzug des Mittellands: langgezogen, sanft geschwungen und stark bewaldet, darum herum ein Mosaik aus Feldern, Häusern und Strassen. Das Geheimnis der Lägern offenbart sich, wenn man auf ihrem Grat steht. Sie sind der östlichste Ausläufer des Faltenjuras, entstanden vor neun bis vier Millionen Jahren durch einen gewaltigen Druck der Alpen Richtung Norden. Die Gesteinsplatten wurden gefaltet und schräg aufgestellt, die Erosion legte die Plattenränder frei. Auf diesen wandert man nun, vom Schloss Schartenfels oberhalb Badens zur Burgruine Alt-Lägern auf der Hochwacht. Gute dreieinhalb Stunden. Jura total.
478 Stufen von Baden zum Schloss Schartenfels
Das Schloss Schartenfels ist bereits am Bahnhof Baden auszumachen. Es sitzt auf einem Felsen über der Stadt, die Schweizerfahne auf dem Schlossturm winkt uns entgegen. Der Wanderweg hingegen führt erst einmal in die Tiefe, per Panoramalift ans Ufer der Limmat. Ein Bummel durch Badens Altstadt und eine knarrende Holzbrücke mit Baujahr 1810 bringen uns auf die andere Flussseite, zur ersten der 478 Treppenstufen, die die Stadt mit dem Schloss Schartenfels verbinden, einem edlen Restaurant mit traumhaft er Rundsicht.
Eine Warntafel verkündet hier das weitere Programm. «Exponierter Weg. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit zwingend erforderlich». Wie sich später herausstellt, sind auf dem Weg zum Lägernsattel zum Glück nur einzelne Stellen wirklich exponiert. Wem das nach zu viel Luft unter den Füssen klingt, der wählt stattdessen den breiten Weg über Chaltbrünnli. Dasselbe empfiehlt sich bei Nässe, haben doch die vielen Wanderschuhe den Gratweg speckig gemacht. Die Tour über die Lägern ist nämlich beliebt, als Tageswanderung und als Einstieg zur grossen Juradurchquerung auf dem Jura-Höhenweg von Dielsdorf nach Genf.
800 Pflanzenarten gedeihen auf der Lägern, auch die seltene Feuerlilie
Die Popularität liegt nicht nur am Weg. Auf der Lägern gedeiht eine vielfältige Flora, etwa 800 Pflanzenarten schätzen die kalkhaltigen Böden. Ein paar begegnen uns am Wegrand, die Frühlings-Schlüsselblume, das Veilchen und die Gänsekresse etwa. Ende Mai folgt die Feuerlilie, eine Seltenheit im Jura. Eine Besonderheit ist auch der dichte und chaotische wirkende Wald. Er wird nicht mehr bewirtschaftet, sondern in gewissen Teilen sich selbst überlassen, in anderen gezielt ausgelichtet, um die Artenvielfalt zu erhöhen. Auf dem Lägernsattel vereinen sich die beiden Aufstiegsrouten, der Adrenalinspiegel sinkt. Die Tour folgt bis zur Hochwacht weiterhin dem Grat, doch der Weg ist nicht mehr exponiert, sondern stellenweise nur noch ruppig. Das erlaubt, die Aufmerksamkeit auf etwas Neues zu lenken, auf den Bärlauch zum Beispiel, der den lichten Buchenwald mit einem grünen Teppich überzieht. Auf Lägern Burghorn, dem mit 859 Metern höchsten Punkt des Tages, ist die Fernsicht noch nicht besser. Dafür laden nostalgische Sitzbänke zur Rast unter der wärmenden Frühlingssonne.
Sieben Kilometer Gratweg über die Lägern
Sieben Kilometer lang ist der Gratweg über die Lägern; auf der Hochwacht ist bei der 800 Jahre alten Burgruine und dem Restaurant Schluss. Wer hier noch nicht auf die Wanderung und das Leben anstösst, tut dies eine knappe Stunde später im mittelalterlichen Städtchen Regensberg. Das Schloss, der Rundturm und die schiefen Riegelhäuser mit den herausgeputzten Gärten bieten die perfekte Kulisse für ein Glas Regensberger in einem Gartenrestaurant. Roten oder Weissen.
Tipps und Informationen zur Wanderung auf die Lägern
Anreise: Mit dem Zug nach Baden. Zurück ab Regensberg mit dem Bus nach Dielsdorf, dann mit der S-Bahn nach Zürich.
Wanderung: Baden Bahnhof – Schartenfels – Lägernsattel – Burg horn – Hochwacht – Regensberg. Die Tour kann bis Dielsdorf fortgesetzt werden.
Lägerngrat: Zwischen Schartenfels und Lägernsattel hat man die Wahl zwischen dem schmalen und an einer Stelle sehr ausgesetzten Gratweg und dem einfachen Waldweg über Chaltbrünnli. Bei Nässe ist der Waldweg vorzuziehen.
Anforderungen: Lässt man zwischen Schartenfels und Lägernsattel den Gratweg aus, stellt die Wanderung keine speziellen technischen Herausforderungen. Gutes Schuhwerk empfiehlt sich aber, der einzige Aargauer Bergweg ist zwischen Lägernsattel und Hochwacht etwas ruppig. Wagt man sich bereits bei Schartenfels an den Gratweg, sind Trittsicherheit und Schwindelfreiheit Pfl icht. Die Wanderzeit beträgt ohne Pausen rund 4,5 Stunden.
Einkehr: Auf der Hochwacht, im Schloss Schartenfels und in Baden und Regensberg.
Karten: Swisstopo-Wanderkarte 1:50 000 Blatt Baden (215T) oder Swisstopo-Landeskarte 1:25 000 Blätter Baden (1070) und Bülach (1071).
Literatur: «Jurawandern» von Philipp Bachmann, erschienen im Rotpunktverlag.
Weitere schöne Frühlingswanderungen die man erleben sollte:
Eine Wanderung im urtümlichen und wilden Maggiatal
Wandern in der Agglo Basel im Frühling in der Sissacherflue
Wandern mit dem Wildbach durchs Val Müstair
NATURZYT Ausgabe März 2017, Text/Fotos Daniel Fleuti