Grauer Wolf Blick rückwärts mit grimigen Gesichtsausdruck

Im Märchen wird der Wolf meist als Menschenfresser und Bösewicht dargestellt. Das Märchen der Gebrüder Grimm „Das Rotkäppchen“ hat dieses Bild für Generationen von Kindern geprägt. Viele haben Angst vor dem Wolf – ein Raubtier – eine Gefahr für uns Menschen. Doch ist der Wolf wirklich so böse? Brauchen wir uns vor ihm zu fürchten? Ein Märchen – oder einfach Unwissenheit. Kennen wir den Wolf wirklich? Oder schrecken uns die Meldungen – der Wolf hat wieder ein Schaf gerissen – das könnte auch uns passieren, einfach ab?

Auf den Spuren des Schweizer Wolfes

NATURYZT geht zusammen mit dem Verein CHWOLF auf die Spuren des Schweizer Wolfes – und zeigt auf, dass der Wolf mehr Angst hat vor uns – lernen wir den Wolf kennen und verstehen – und räumen auf mit dem Märchen vom bösen Wolf.

Der Wolf ist ein hoch entwickeltes und extrem anpassungsfähiges Raubtier. Er lebt in einem Familienverband (Rudel) und hat ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Eine Wolfsfamilie besteht in Europa meist aus den Elterntieren, den Welpen und den Jungtieren aus dem letzten Jahr. Jungwölfe verlassen normalerweise bei Erreichen der Geschlechtsreife mit ca. 1-2 Jahren ihre Familie, um einen Partner zu finden und dann im eigenen Revier eine Familie zu gründen. Dabei können sie sehr weite Strecken zurücklegen. Es kam schon vor, dass ein Wolf in wenigen Monaten bis 1000 km gewandert ist. Die Reviergrösse ist abhängig vom Nahrungsangebot und beträgt in Europa im Mittel 150 bis 350km2. Seine enorm leistungsfähigen Sinnesorgane machen den Wolf zum Top-Beutegreifer der nördlichen Erdhalbkugel. Seine Hauptnahrungsquelle in der Schweiz ist Reh- und Rotwild.

Seit 1995 wandern immer wieder einzelne Wölfe von Italien und Frankreich in die Schweiz ein. Die Rückkehr des Wolfes erfolgt also natürlich. Unser Alpenraum mit dem grossen Reh- und Rotwildbestand bietet ideale Lebensbedingungen für Wölfe. Sie fühlen sich überall wohl, wo sie genügend Nahrung, Wasser und Rückzugsmöglichkeiten für die Welpenaufzucht finden. Obwohl die Schweiz sehr klein und im Flachland und den Tälern dicht besiedelt ist, finden sie genügend Platz und alles was sie zum Leben brauchen. Wölfe brauchen keine Wildnis!

Wolfsrudel im Gehege des Tierpark Goldau
Ein Wolfsrudeln im Natur- und Tierpark Goldau.

Der Wolf nützt dem Schweizer Ökosystem

Der Wolf ist ein wichtiger Bestandteil der Biodiversität. Die Rückkehr des Wolfes in die Schweiz wird für das Ökosystem von grossem Vorteil sein. Es ist erwiesen, dass die Wölfe aktiv dazu beitragen, dass Wildtierbestände vitaler werden und Ökosysteme natürlich im Gleichgewicht gehalten werden. Wölfe erbeuten vielfach nur die nicht reproduzierenden schwachen Tiere (ganz junge, alte oder kranke). So können sich vor allem die gesunden und starken Tiere fortpflanzen. Damit verhelfen die Wölfe zu einem kräftigen und gesunden Wildtierbestand. Da sie nicht immer gleich die ganze Beute fressen, können viele Aasfresser von den herumliegenden Überresten profitieren. Der Wolf öffnet somit für viele Organismen neue ökologische Nischen. Das Nahrungsnetz wird grösser, da diese Tiere wiederum eine Nahrungsgrundlage für andere Tiere darstellen. Auch zersetzen viele Destruenten (Bakterien, Pilze, Würmer) das restliche Aas und erzeugen aus dem toten Material wieder anorganische Stoffe (sehr nährstoffreiche Erde), die wiederum eine Grundlage für viele Pflanzen ist. 

Durch die Rückkehr des Wolfes und dessen natürliche Regulierung des Wildbestandes verändert sich auch das Verhalten der Hirsche und Rehe. Sie wandern mehr umher, wodurch die Vegetation Zeit hat, um sich zu regenerieren. Auch können sich die Schutzwälder dadurch besser verjüngen. Auf diese Weise werden Erosion und damit Erdrutsche, Lawinen und Hochwasser auf natürliche Weise verringert oder verhindert.

Wolfswelpe liegt am Boden und schläft
Wolfswelpe Runa, 7 Wochen alt, im Tierpark Schorfheide (D).

Wölfe sind intelligent und scheu - wie verhält man sich richtig?

Wölfe sind sehr intelligente und scheue Tiere. Sie haben eine angeborene Angst vor dem Menschen, der ihr grösster Feind ist. Ein gesunder Wolf in freier Wildbahn riecht, hört und sieht einen Menschen, lange bevor wir den Wolf überhaupt wahrnehmen. Der Wolf wird dem Menschen ausweichen und sich zurückziehen. Dank seiner Fellbarbe ist er sehr gut getarnt und wenn er sich nicht bewegt, ist er schlecht von der Umgebung zu unterscheiden. Die Chance einem Wolf in freier Wildbahn zu begegnen, ist also äusserst gering. Wer viel Glück hat, kann ihn vielleicht für einen kurzen Moment auf weite Distanz beobachten.

Sollte es doch einmal zu einem dieser seltenen Zusammentreffen kommen, bleiben Sie stehen, verhalten Sie sich ruhig und geben Sie dem Wolf die Möglichkeit sich zurückzuziehen. Vor allem junge, noch unerfahrene Wölfe sind meist neugieriger und weniger scheu als alte Wölfe und begeben sich eher einmal in eine unvorteilhafte Situation.

Falls der Wolf nicht von selbst wegläuft und Ihnen die Situation nicht geheuer ist:

  • sprechen Sie laut oder klatschen Sie in die Hände 
  • laufen Sie nicht davon sondern gehen Sie langsam rückwärts

Eine solche Situation stellt für Sie keine Gefahr dar. Wölfe sind sehr anpassungsfähige Tiere, was ihnen ein Überleben bei unterschiedlichsten Lebensbedingungen und sich verändernden Umweltbedingungen ermöglicht. Sie können sich somit auch problemlos in von Menschen besiedelten Gebieten aufhalten und niederlassen, wie viele andere Tiere auch. Gerade in der dichtbesiedelten Schweiz müssen wir deshalb bewusst vermeiden, dass sich der Wolf zu sehr an uns Menschen gewöhnt und dadurch seine natürliche Scheu verliert. Eine solche Verhaltensänderung bei Wildtieren führt vielfach zu Problemen bis hin zu gefährlichen Situationen. 

So kann eine Gewöhnung an Menschen vermieden werden:

  • Tiere bei Kontakt strikte ignorieren.
  • Tiere nie füttern, auch nicht passiv!
  • Abfalldeponien in der Nähe von Menschen und Häusern vermeiden (künstliche Futterstellen).
  • Kein Tierfutter von Haustieren draussen herumstehen lassen.

Werden alle diese einfachen Verhaltensregeln befolgt, können viele Probleme präventiv vermieden werden. Solange der Wolf seine natürliche Scheu vor dem Menschen behält, stellt er für uns auch keine Gefahr dar.

Wolfsrudel auf einer Wiese in den Bergen
Wölfe leben in Familienverbünden.

Ist der Wolf für Nutztiere gefährlich?

Seit der Wolf wieder in die Schweiz zurückgekehrt ist, kommt es immer wieder zu Schäden an Nutztieren. Um seinen Energiehaushalt zu schonen und auch Verletzungen vorzubeugen, bevorzugt der Wolf einfach zu jagende Beutetiere. Dazu gehören auch unsere ungeschützten Nutztiere wie Schafe oder Ziegen, da diese Tiere, wenn sie nicht ausreichend geschützt sind, für den Wolf eine sehr leichte Beute darstellen. Damit diese Schäden möglichst gering gehalten werden können, braucht es einen gut funktionierenden Herdenschutz. Die verschiedenen Herdenschutzmassnahmen wie Herdenschutzhunde, Behirtung, Einsatz von Zäunen und Nachtpferchen oder auch Esel und Lamas haben sich sehr bewährt. Überall dort, wo professionell und konsequent Herdenschutz betrieben wird, gibt es nur noch selten Übergriffe auf Nutztiere. 

Jährlich verbringen ca. 250‘000 Schafe den Sommer in den Schweizer Alpen. Durchschnittlich werden in dieser Zeit ungefähr 200 Schafe von Wölfen gerissen, allerdings mit grossen jährlichen Unterschieden: Die Zahl variiert seit 1999 laut KORA zwischen weniger als 20 und bis zu 350 Tiere jährlich (2012 waren es ca. 120 Tiere). In jedem Sommer sterben aber viel mehr Schafe auf den Alpen durch andere Ursachen. Ca. 5‘000 - 10‘000 Tiere verenden an Krankheiten, Abstürzen, Stein- oder Blitzschlag oder frühzeitigem Schneeeinbruch. Meist geschehen diese Verluste bei unbehirteten Alpweiden in schwierigem Gelände. Also kann der Wolf nur für einen sehr kleinen Teil von ca. 2% aller getöteten Schafe verantwortlich gemacht werden. 

Ein guter Herdenschutz bringt noch weitere wichtige Vorteile mit sich: 

  • durch die Behirtung können viele Unfälle und Abstürze verhindert werden und somit überleben dank des Herdenschutzes generell viel mehr Schafe den Sommer auf der Alp. 
  • Dank der Behirtung und der gezielten Führung der Schafe wird erreicht, dass die Weiden überall regelmässig abgefressen werden. Nicht behirtete Schafe fressen am liebsten das frische, junge Gras, was rasch zu einer Übernutzung der Alpen führt.

Ein erfolgreicher Schutz ist aber auch immer abhängig von den betrieblichen, topographischen, ökologischen und sozioökonomischen Faktoren. Bei sehr steilen und topographisch schwierigen Alpen ist der Einsatz von Zäunen nicht überall möglich. Je nach Gelände, Grösse der Alp und Anzahl der Tiere muss beurteilt werden, welche Herdenschutzmassnahmen für diese Alp am besten sind. Die Umsetzung des optimalen Herdenschutzes ist für den Alpbewirtschafter immer mit einem finanziellen und vor allem auch grossen zeitlichen Mehraufwand verbunden. 

Weisser Herdenschutzhund hinter Elektrozaun
Elektrozaun und Herdenschutzhund - eine optimale Sicherheit für die Nutztiere

Herdenschutzhunde zum Schutz gegen den Wolf

Herdenschutzhunde werden seit Jahrhunderten in Europa und Asien erfolgreich eingesetzt, um die Herden vor Raubtieren wie Wolf, Luchs und Bär zu schützen. In den Ländern, wo der Wolf nie ausgestorben war, wie z.B. in Italien und Rumänien, ist es ganz selbstverständlich, die Herden mit Hirten und Herdenschutzhunden zu schützen.

Ein Herdenschutzhund wird von Geburt an auf das Umfeld der Nutztiere geprägt, denn die enge soziale Bindung zu den Schafen ist zentral für seine Aufgabe. Die Bindung zum Menschen beschränkt sich auf ein Minimum. Die Aufzucht und Ausbildung zum einsatzfähigen Herdenschutzhund dauert ca. 2 Jahre. Sein Schutzverhalten ist vererbt und muss ihm nicht beigebracht werden. Ein Herdenschutzhund arbeitet sehr selbständig und schützt die Herde, indem er sein Territorium markiert, durch abschreckendes Bellen und Dominanzverhalten gegenüber dem Angreifer. 

Es gibt über 30 verschiedene Herdenschutzhunderassen, die meisten davon stammen aus Europa und Asien. In der Schweiz werden meist der französische „Montagne des Pyrénes“ und der italienische „Maremmano Abruzzese“ eingesetzt.

Ist der Wolf gefährlich für Menschen?

In seltenen Fällen können Wölfe in freier Natur für den Menschen gefährlich werden. Dies bei Tollwut (kommt in der Schweiz jedoch seit 1999 nicht mehr vor!) oder wenn sie durch Menschen angefüttert werden und die natürliche Scheu verlieren.

  • In den letzten 50 Jahren sind in Europa 5 Fälle von tödlichen Angriffen auf Menschen durch tollwütige Wölfe bekannt geworden.
  • In den USA sind einzelne tödliche Angriffe auf Menschen bekannt, die alle auf Anfütterung zurückzuführen sind.
  • In derselben Zeit starben allein in der Schweiz ca. 25‘000 Menschen durch Verkehrsunfälle, weltweit mehrere Millionen.
  • Seit der Rückkehr der Wölfe in die Schweiz (1995) und in Deutschland (1996) mit bereits 13 Rudeln ist kein einziger Wolfsangriff auf Menschen bekannt. 
Wolf läuft über Wiese in den Bergen
Eine Begegnung mit einem frei lebenden Wolf ist sehr selten.

Verein CHWOLF  

Der Verein CHWOLF wurde im Januar 2011 gegründet und betreibt vor allem Aufklärungsarbeit über den Wolf und sein ökologisches Umfeld.  Mit Vermittlung von Wissen soll die Akzeptanz gegenüber der Natur, dem Wolf und seiner Wiederintegration in unsere Umwelt gefördert werden. 

CHWOLF  setzt sich dafür ein, dass auch auf schwierigen und exponierten Alpen der bestmögliche Herdenschutz betrieben und der enorme Mehraufwand für den Schutz und die Gesundheit der Nutztiere erbracht wird. 

Kontaktinformationen:

Verein CHWOLF, Nüburg 1, 8840 Einsiedeln, www.chwolf.org

Weitere Schweizer Wildtiere die spannend sind zu entdecken:

Die Fledermäuse in der Schweiz auf herbstlichem Paarungsflug

Rothirsche in der Schweiz zur Brunftzeit

Wildschweine in der Schweiz - Smarte Schwarzkittel des Unterholzes


NATURZYT Ausgabe September 2013 Text Michael Knaus (NTZ), Christina Steiner (CHWolf)

 

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