Kann man hinter dem Mond Schneeschuhlaufen? Kann man, sofern man sich links hält. Man fi ndet dort einen märchenhaften Wald, eine weitläufi ge Alp und Aussicht bis zum Abwinken. Auf geht's nach St. Antönien und die Alp Valpun.
«Hinter dem Mond, links.» Wer mit einem solchen Slogan um Gäste wirbt, hat aus der Not seiner Abgeschiedenheit eine Tugend gemacht. Hinter dem Mond, links, da liegt St. Antönien, zuhinterst in einem Seitental des Prättigaus, auf halbem Weg zwischen Landquart und Klosters, an der Grenze zum Montafon und zu Österreich. Bei St. Antönien von einem Dorf zu sprechen, wäre vermessen: Die Häuser und Höfe verteilen sich über die steilen Hänge und verschwinden in den engen Tälchen. Die Walser, die im 14. Jahrhundert in die Gegend zogen, legten die für sie typische Streusiedlung an. Einzig um die Kirche mit ihrem markanten Turm – Spätgotik, Baujahr 1493 – ist eine Art Dorfzentrum entstanden. Der Ortsteil heisst Platz und ist für die meisten Ausflügler Ausgangspunkt ihrer Entdeckungen hinter dem Mond links. Auch für uns.
St. Antönien setzt auf nachhaltigen, naturnahen Tourismus
Mit unseren Schneeschuhen sind wir in St. Antönien bestens aufgehoben. Der Ort setzt ganz auf nachhaltigen, naturnahen Tourismus. Auf die Berge und Alpen und in die vielen Seitentälchen kommt man im Winter aus eigener Kraft – zu Fuss, mit Tourenskis oder mit Schneeschuhen. Obwohl: Einen Skilift gönnt sich St. Antönien, den Skilift Junker. Er schleppt seit über 40 Jahren kleine und grosse Skifahrer von Platz nach Aschüel. Wir hingegen müssen den Hang zu Fuss überwinden, durch tiefen Schnee stapfend und schon bald in der Morgensonne schmorend. Die Hänge sind steil um St. Antönien. Und bedrohlich. Die zahlreichen Lawinenverbauungen zeugen von der latenten Gefahr. Kein Ort in der Schweiz hat so viele wie St. Antönien. 12 280 Meter Stahl und Beton wurden zwischen 1953 und 1977 verbaut, später kamen nochmals 4250 Meter dazu. Kosten: 22 Millionen Franken. Ein gigantisches Werk, das die 350 Talbewohner vor Schneeabgängen schützt.
Valpun eine weitläufige Alp mit Sicht über Rätikon und das Prättigau
Schnee hat es hier hinten reichlich; Bäume, Sträucher, Brücken und Häuser sind in dickes Weiss gepackt. Wir haben uns Valpun als Ziel vorgenommen, eine weitläufige Alp mit Sicht über das Rätikon und das Prättigau. Valpun ist einfach zu erreichen, von der Sonne verwöhnt und im Winter von der Welt beinahe vergessen. Beinahe, denn über die Alp gelangt man aufs Chrüz, ein beliebter Gipfel für Ski- und Schneeschuhtouren, wegen seiner Pyramidenform auch Rigi des Prättigaus genannt. Verfehlen kann man den Weg nicht, dafür sorgt ein Heer pink farbener Markierstangen. In St. Antönien und in seinem Nachbarort Pany sind seit Anfang Jahr 16 Schneeschuhrouten markiert. Valpun wird von mehreren Trails berührt; sie führen aufs Gafäll, den Stelserberg oder einfach in einer weiten Runde über die Alp. Markiert darf nicht verwechselt werden mit gesichert, darauf wird entlang der Trails mehr mals hin gewiesen. Wer mit Schneeschuhen unterwegs ist, muss sich mit Lawinen auskennen und entsprechend schützen – nicht nur in St. Antönien.
Fuchs, Hase, Gämse in der Wildruhezone
Der Einstieg zur Tour ist einfach. Die Spur führt vom Dorfzentrum über den Michelshof und vorbei am Skilift Junker und dem Parkplatz Aschüel zu den ersten Bäumen des Riedbüelwaldes. Jetzt heisst es, sich an den vorgegebenen Weg zu halten: Der Wald ist eine Wildruhezone, und die Wildhut ist darauf bedacht, dass das Weggebot eingehalten wird und die Tiere ihre Ruhe haben. Müssen nämlich Fuchs, Hase, Gämse und Schneehuhn im Winter wiederholt flüchten, benötigen sie sehr viel Energie, und die ist in der kalten Jahreszeit Mangelware. Für uns Schneeschuhwanderer ist der Riedbüelwald purer Genuss, auch auf dem breiten Winterweg. Die verschneiten Bäume gleichen riesigen Skulpturen, von der Sonne gekonnt in Szene gesetzt. Fast schade, steht man nach einer knappen halben Stunde bei Grossried wieder auf freiem Feld; vor uns liegt die weisse Weite der Alp Valpun.
Je höher, je besser die Sicht auf den Gipfel des Rätikons
Die Alp ist eine einzige Einladung, sie in weiten Schlaufen zu durchstreifen. Den Berg hoch geht es zwar weiterhin, vor allem dann, wenn man beim grossen Alpgebäude Mittagsrast halten will. Das Gelände ist aber so weitläufig, dass man sich nach Herzenslust vertun kann. Je höher wir kommen, desto besser wird die Sicht auf die Gipfel des Rätikons: Schesaplana, Drusenfluh, Sulzfluh, Schijenflue und Schollberg geben sich die Ehre. Zum Greifen nah ist auch das Chrüz, auf den es heute einige Skitüreler zieht. Wir bleiben auf der Alp Valpun, lassen uns von der Sonne verwöhnen und gelangen in einem Bogen über unberührte Hänge und vorbei an wilden Tobeln zurück zum Riedbüelwald und auf der Aufstiegsroute nach Platz. Wer hätte gedacht, dass die Welt hinter dem Mond links so vielseitig ist.
Weitere Schneeschuh-Wanderungen die im Winter zu erleben sind:
Schneeschuhwanderung zwischen Jaunpass und Hundsrügg
Winterwanderung durch's Toggenburg
Schneeschuh-Wanderung im Emmental - ein bisschen Abenteuer
NATURZYT Ausgabe Dezember 2016, Text / Foto Daniel Fleuti