Berge links, Berge rechts, Berge rundherum. Auf dem langen Grat zwischen Jaunpass und Hundsrügg geniessen Schneeschuhläufer grosse Freiheitsgefühle und einen Ausblick vom Feinsten auf die Berner und Freiburger Gipfelwelt.
Grat. Oberste Kante eines Bergrückens. So steht es im Duden. Doch Grate sind mehr. Sie trennen Dörfer und Täler, bisweilen Kantone, Sprachregionen und Kulturen. Manche Grate sind mit Wander- und Schneeschuhen einfach zu begehen, andere erfordern ein gerüttelt Mass an Erfahrung und Mut. Immer aber gewähren sie viel Aussicht und lassen einen dieses wunderbare Gefühl von Freiheit und unendlicher Weite spüren. Nur muss man bei einer Gratwanderung aufpassen, ob all der Schönheit das Vorwärtsgehen nicht zu vergessen. Sonst wird sie unendlich, wie zum Beispiel diejenige vom Jaunpass auf den Hundsrügg im Berner Oberland.
Ein Pass mit reicher Vergangenheit
Zweieinhalb Stunden beansprucht der Aufstieg mit Schneeschuhen auf den 2047 Meter hohen Gipfel. Schnell wird daraus mehr, der Gratweg bietet viel für Auge, Gemüt und Fotoapparat. Spannend ist bereits die Anfahrt auf den Jaunpass. Kurve um Kurve schraubt sich der Bus in die Höhe, mit jeder Kehre wird das Panorama spektakulärer, die Landschaft wilder. Wer in Boltigen den ersten Kurs nimmt, erlebt, wie der neue Tag stimmungsvoll die Nacht ablöst. Der 1500 Meter hohe Jaunpass verbindet das bernische Simmental mit dem freiburgischen Greyerzerland. Dieser Umstand machte ihn für die Landesverteidigung wichtig. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870 / 1871 beschloss der Bund den Bau einer Passstrasse, um die militärischen Zentren Bulle und Th un zu verbinden. Im Zweiten Weltkrieg folgte ein weiterer militärischer Akt. Die Region wurde zum Artilleriewerk aufgerüstet, mit als Alphütten getarnten Bunkern. Heute herrscht auf dem Jaunpass Frieden – selbst an schönen Wintertagen. Das Ski- und Langlaufgebiet ist klein und familiär, Hektik kommt da keine auf. Und auch für Skitourengänger und Schneeschuhläufer hat es genügend Platz: Sie finden mit dem Bäderhorn oder eben dem Hundsrügg attraktive Gipfelziele.
Unterwegs an der Sprachgrenze
Der Weg auf den Hundsrügg liefert bereits nach der ersten halben Wanderstunde einen Höhepunkt. Bei der Bergstation des Skilift s Hüttlistalde öff net sich der Weitblick Richtung Simmental und die Wildstrubelkette – ein eindrücklicher Moment. Von da weg lassen einen die Berge nicht mehr los, während der folgenden zwei Stunden werden es immer mehr, die das Auge in die Ferne ziehen.
Die nächste Höhenstufe, das Hürli, ist bald erklommen. Ein Bänkli an der Sonne und ein wenig oberhalb die SAC-Hütte Oberegg bieten sich an für eine Rast. Ist die Hütte bewartet, wird man mit einem herzlichen «Bonjour» begrüsst. Sie gehört der Sektion Gruyère, das Greyerzerland und damit die Kantonsund Sprachgrenze sind nicht weit. Überhaupt hört man unterwegs ein Durcheinander von Französisch und Deutsch; der Hundsrügg ist hüben wie drüben beliebt.
Der Grat, den wir kurz nach der Hütte betreten, liegt indes vollständig im Kanton Bern. Die Grenze verläuft weiter westlich über die Gastlosen. Die 15 Kilometer lange Kette mit ihren markanten Zacken und Türmen aus Kalkstein galt einst als unbezwingbar. Heute ist sie ein beliebtes Kletter- und Wandergebiet, wobei sich die Bergwege auf den Fuss der Gastlosen und die wenigen Passübergänge konzentrieren.
Die Region hinter dem Jaunpass bietet noch mehr Besonderheiten. Die erste Gemeinde auf Freiburger Seite, Jaun, ist die einzige deutschsprachige im Bezirk Greyerz. Versteht man die Leute dort trotzdem nicht, liegt das an ihrem Dialekt, dem Jaundeutsch oder Jùutütsch, eine Mundart mit Wurzeln im Höchstalemannisch. Ebenfalls etwas Spezielles und einen Besuch wert ist das kleine Dorf Abländschen. Es liegt am Fusse der Gastlosen und wirkt, vom Grat des Hundsrügg aus betrachtet, fast von der Welt vergessen.
Der Weg zur Aussicht zehrt
Bald nach der SAC-Hütte ist ein erster Gipfel erreicht. Wer angesichts des markanten Eisenkreuzes meint, dies sei der Hundsrügg, wird rasch eines besseren belehrt. Von weitem grüsst er, der Weg dorthin fordert nochmals Kraft . Gratwege haben nämlich die Eigenschaft, in munterem Auf und Ab zu verlaufen. Und so kommt man auf den letzten zwei Kilometern ordentlich ins Schnaufen.
Die Anstrengung lohnt sich, die Rundsicht auf dem Gipfel ist gewaltig. Chasseral, Eiger, Mönch, Jungfrau, Niesen, Hengst, Wildstrubel, Wildhorn, ja sogar der Mont Blanc zeigen sich. Man mag sich kaum sattsehen. Das breite Plateau ist bestens geeignet für die Mittagsrast – sofern der Wind es zulässt. Die Gipfelwechte zeugt davon, wie unerbittlich er hier oben das Zepter in der Hand hält.
Viele Wege führen zurück
Das Graterlebnis lässt sich verlängern; über Luegle, an der Bire vorbei und über das Wannehöreli führt eine Route in rund drei Stunden nach Saanenmöser. Möglich ist auch der Abstieg ins Sparenmoos. Dort mietet man einen Schlitten und saust nach Zweisimmen. Zum Jaunpass zurückzukehren, ist genauso attraktiv. Die Berge, die am Morgen im Rücken lagen, zeigen sich nun in voller Grösse. Und die hausgemachte Suppe in der SAC-Hütte wärmt Körper und Seele. Immer sonntags.
Weitere Winterwanderungen die schön sind zu dieser Jahreszeit:
Schneeschuhtour auf dem Hochplateau Alp Flix
Toggenburger Hügelhüpfen mit Blick auf den Säntis
Winterwandern in der Stille in Nidwalden
NATURZYT Dezember 2015, Text/Foto Daniel Fleuti