Wo Bäume die Aussicht versperren, braucht es Aussichtstürme. Auf dem Randen stehen gleich mehrere. Sie geben nicht nur den Blick frei auf den Klettgau, das Mittelland und die Alpen, sondern erfordern auch ein bisschen Mut.
19 Meter. Was sind schon 19 Meter Höhe? Denke ich und mache mich beherzt an den Aufstieg auf den Siblinger Randenturm. Der Turm ist nigelnagelneu, eingeweiht am 8. November 2014. Die Konstruktion ist einem Baum nachempfunden und besteht aus drei freistehenden Trägern aus Lärchenholz, die zu einem Dreieck angeordnet sind und sich gegen oben hin öffnen. Die Metalltreppe windet sich spiralförmig auf der Aussenseite der Holzträger in die Höhe, der Blick ist nach allen Seiten frei. Ich bin noch nicht oben angelangt, da wird mir die luftig leichte Konstruktion ein erstes Mal zum Verhängnis. Irgendwie schwebe ich mehr, als dass ich auf festem Grund stehe. Die kräftige Bise, die den Turm leicht zum Schwanken bringt, unterstützt das mulmige Gefühl.
Ich fasse mir ein Herz und betrete wenig später die grosse Aussichtsplattform. Zugegeben, die Aussicht ist umwerfend, der Bise sei Dank. Über den Klettgau und das Mittelland bis zu den Alpen schweift der Blick. Die Plattform, ohne Dach und von einem feinmaschigen Metallgeländer umgeben, ähnelt einer grossen Terrasse. Mehrere Sitzgelegenheiten laden dazu ein, es sich über den Baumwipfeln gemütlich zu machen. Das Angebot kommt an: Einige Besucher haben sich niedergelassen und räkeln sich an der Sonne. Ich hingegen stehe schneller wieder unten, als ich hochgekommen bin.
Im zweiten Anlauf zum Turm
Dass heute auf dem Siblinger Schlossranden ein neuer Aussichtsturm steht, ist nicht selbstverständlich. Sein Vorgänger aus dem Jahr 1882 hatte nach über hundert Jahren Betrieb ausgedient. Das erste Nachfolgeprojekt endete vor Obergericht, weil es aus Sicht des Heimatschutzes nicht in die geschützte Landschaft des Randen gepasst hätte. Also machten sich die Siblinger auf und planten neu. Das Resultat ist gelungen. Der Siblinger Randenturm ist eine Freude fürs Auge, egal ob man ihn besteigt oder nicht. Er fügt sich harmonisch in den Wald ein und grüsst den Wanderer bereits, wie er, knapp 300 Höhenmeter weiter unten, das Dorf Siblingen verlässt.
Der Aufstieg zum Aussichtsturm ist eine abwechslungsreiche Angelegenheit. Über Wiesen und vorbei an Obstbäumen geht es schnurstracks bergwärts. Der Randen ist in weiten Teilen bewaldet, und so steht man alsbald inmitten von Bäumen. Hier gefällt es dem Bärlauch, er wächst auf den kalkhaltigen, feuchten Böden gleich felderweise.
Eine parkähnliche Landschaft
Ebenfalls ein häufiger Wegbegleiter ist das Leberblümchen. Die Form seiner Blätter sowie die Heilwirkung bei Leberleiden haben dem kleinen violettblauen Blümchen zu seinem Namen verholfen. Mittlerweile ist die leicht giftige Pflanze selten geworden und geschützt. Dass sie auf dem Randen anzutreffen ist, kommt nicht von ungefähr. Der Ausläufer des Tafeljuras beheimatet eine ausgesprochen vielfältige Flora. Vielen Arten, denen man im Mittelland nicht oder kaum mehr begegnet, sind hier häufig vertreten. So konnten im Randengebiet zum Beispiel 33 Orchideenarten nachgewiesen werden, das ist mehr als die Hälfte aller in der Schweiz vorkommenden Orchideen.
Der Grund dafür liegt in den vielen Magerwiesen und den im 19. Jahrhundert heckenartig angelegten Waldföhrenstreifen. Beide verleihen dem Randen einen parkähnlichen Charakter. Ansonsten besteht der Hügelzug vor allem aus dichtem Wald – so viel, dass er Schaffhausen, nebst dem Jura, zum waldreichsten Kanton der Schweiz macht.
Dem Eiffelturm nachempfunden
Wo viele Bäume stehen, ist die Aussicht verstellt. Das bewegte die Gemeinden rund um den Randen vor über hundert Jahren zum Bau von Aussichtstürmen. Der neue Siblinger Randenturm ist einer davon. Sein Nachbar auf dem Schleitheimer Schlossranden überragt ihn um einen Meter. Zudem hat er mit Baujahr 1909 ein paar Jahre mehr auf dem Buckel. Gut im Schuss ist die Stahlkonstruktion, die dem Eiffelturm nachempfunden ist, dennoch.
Eineinhalb Wanderstunden trennen die beiden Türme. Die lichten Hochplateaus und die grosse Zelgliwiese, auf der nach Herzenslust gespielt und grilliert werden kann, sorgen für Abwechslung zum bärlauchschwangeren Wald. Knurrt vor dem Aufstieg auf den Schleitheimer Randenturm der Magen, kehrt man kurz davor in der urigen Waldschenke ein. Am Feuer, im Tipi oder ganz einfach unter den Bäumen schmecken die hausgemachten Spezialitäten bestens, zum Beispiel Schlaatemer Rickli, eine Art deftige Schenkeli.
Die Kalorien sind im Nu verbrannt, der Weg ins schmucke Dorf Schleitheim mit seinen Riegelbauten und dem bunten Kirchturm zieht sich in die Länge. Gesellschaft leistet einmal mehr – der Bärlauch. Für all jene, die noch nicht genug gesammelt haben..
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NATURZYT Ausgabe März 2016, Text/Foto Daniel Fleuti