Kaum jemand sieht sie. Sie verschläft den Tag auf einem Baum und wird erst in der Dämmerung aktiv. Und doch ist sie eine der häufigeren Eulenarten der Schweiz. Ihre steil aufgerichteten Ohren sind das Markenzeichen der Waldohreule.
Die Waldohreule ist noch eine der häufigeren Eulenarten in der Schweiz und brütet bei uns im Mittelland und im Jura sowie in den Alpentälern bis zu einer Höhe von 1500 Metern. Ihr optimaler und bevorzugter Lebensraum sind halboffene Gebiete mit niedrigem Pflanzenwuchs und mit Übergangsbereichen zwischen Wald- und Kulturland mit lichten Waldpartien, Magerwiesen sowie Hecken- und Obstgartenlandschaften. Zurzeit wird der Bestand in der Schweiz auf 2500 bis 3000 Brutpaare geschätzt und sie gilt als noch nicht gefährdet. Aber durch die heute dichten Hochwälder und das intensiv genutzte Kulturland wird der sonst artenreiche Übergang «messerscharf» abgegrenzt. Die früher breite Übergangszone schrumpft auf eine Linie zusammen, und damit verlieren die Waldohreule und auch zahlreiche weitere Tier- und Pflanzenarten ihren Lebensraum.
Die Waldohreule - Spezialistin der Nacht
Kaum jemand sieht sie, denn die Waldohreule ist wie andere Eulenarten auch, auf die nächtliche Lebensweise spezialisiert. Sie wird damit erst bei Einbruch der Dämmerung aktiv und begibt sich dann auf die Jagd. Den Tag verschläft sie gemütlich sitzend auf einem Baum, wohlwissend, dass sie praktisch unentdeckt bleibt. Eigentlich erstaunlich, denn mit einer Körperlänge von circa 36 Zentimetern und einer stattlichen Flügelspann weite von fast einem Meter kann man sich doch nicht so gut verstecken.
Vielleicht liegt es an den grossen und auffälligen Federohren, die sie ruhend und beim Fliegen an den Körper anlegt und mit denen sie Eindringlinge schon von Weitem hören kann? Aber mit diesen kann sie gar nicht hören. Entgegen ihrer Bezeichnung, welche auch zur Namensgebung massgebend beigetragen hat, sind diese Federohren nicht zum Hören da. Sie werden zusammen mit dem Gesichtsschleier vor allem für die Mimik eingesetzt. Oder sind es die grossen Augen, welche im Gegensatz zu anderen Vogelarten wie bei uns vorne im Gesichtgelegen sind? Denn dank den 14 Hals - wirbeln kann die Eule den Kopf um 270 Grad drehen und hat so fast einen Rundumblick.
Nein auch nicht. Es ist die Färbung ihres Gefieders, welche mit seinem gelblichbraunen Ton und dunklen graubraunen Flecken ähnlich wie die Rinde der Bäume gezeichnet ist. Dies ergibt eine optimale Tarnung. Da sich die Eulen meist in Stammnähe ausruhen, sind sie damit im Geäst kaum zu entdecken.
Die Waldohreule fliegt lautlos
Das Geheimnis ihres Jagderfolges liegt im praktisch geräuschlosen Flug. Wie bei allen Eulenarten kann sie dankihrem einzigartigen Gefieder nahezu geräuschlos fliegen. Dabei helfen ein samtiger Bewuchs auf den Federn und gezahnte Ränder, die sich auch im Gegensatz zu anderen Vögeln an den Füssen befinden. Die Luft wird damit so verwirbelt, dass keine Fluggeräusche entstehen. Die Beute, welche zu fast 90 Prozent aus Feldmäusen besteht, spürt sie mit ihrem Gesichtsschleier auf. Wie ein Schalltrichter fängt dieser selbst die kleinsten Geräusche auf und leitet diese zum Trommelfell im Gehör. Der Gesichtsschleier ersetzt somit die Ohrmuschel. Die Ohren liegen seitlich am Kopf, aber nicht auf gleicher Höhe, was ihr erlaubt, die Position von Mäusen sehr genau wahrzunehmen.
Vielleicht liegt der lautlose Flug auch daran, dass sie sich vor Jagdbeginn ausgiebig das Gefieder putzt. Erst dann startet sie zur zwei- bis dreistündigen Jagd, bevor sie eine Ruhepause einlegt, welche auch bis weit nach Mitternacht dauern kann. Dann startet sie erneut nochmals intensiv ihren Suchflug, welcher relativ dicht über dem Boden erfolgt. Aber auch die Ansitzjagd gehört zum Jagdverhalten der Eule. Dabei lauscht sie von einem Ast aus nach Mäusen. Oder sie begibt sich auf den Boden, um dort mit dem Schnabel die wirbellosen Insekten zu jagen. Auch Maikäfer zu fangen, ist ein Kinderspiel, dabei klettert die Waldohreule geschickt durch das Geäst der Bäume. Die gesamte aktive Jagd beträgt 5-6 Stunden pro Tag und endet in der Morgendämmerung, die einen neuen Tag ankündigt.
Das Nahrungsangebot der Waldohreule bestimmt den Nachwuchs
Den Waldrand nutzt die Waldohreule nicht nur als Ruheraum, sofern es dort genügend Freiflächen für die Jagd gibt, sondern auch als Brutrevier. Nadelbäume, welche nicht nur ausreichend Deckung bieten, sondern auch alte Nester von Krähen oder Elstern beherbergen, sind erste Wahl. Denn sie baut keine eigenen Nester, sondern bezieht alte Krähen- und Elsternnester. Waldohreulen sind bereits nach Ende ihres ersten Lebensjahres fortpflanzungsfähig und leben in sogenannten «Saisonehen». Im Frühjahr lockt das Männchen durch Paarungsrufe das Weibchen in sein Revier. Mit einem Imponierflug, bei dem die weissen Flügelunterseiten präsentiert werden und die Flügel gelegentlich unter dem Körper zusammenklatschen, gekoppelt mit intensiven Rufen, wirbt er um die Gunst des Weibchens.
Die Waldohreule und ihre Jungeulen
Die Brutablage beginnt normalerweise zwischen Ende März und Mitte April. Im Abstand von je zwei Tagen werden die vier bis sechs Eier gelegt. Ist die Mäuseangebot sehr reich vorhanden, kann das Gelege bis zu acht Eier umfassen. Das Weibchen verlässt während der Brutphase von 27 bis 28 Tagen und auch während der ersten Tage der Jungeulen das Nest nur für kurze Zeit. Während der ersten Tage werden diese vom Weibchen intensiv gehudert, das heisst mit den Flügeln vor Witterungseinflüssen geschützt. Das Männchen sorgt für die Beute, bis die Jungeulen das Nest nach ca. 20 Tagen noch flugunfähig verlassen und als «Ästlinge» in den Baumkronen hocken, erst dann beteiligt sich das Weibchen an der Futterversorgung. Die jungen Waldohreulen sind geschickte Kletterer, und nach Einbruch der Dämmerung zeigen sie ihren Standort durch ein hohes «Zieeh» an, das sie im Abstand von wenigen Sekunden wiederholen. Nach etwa5 Wochen können auch die Jungeulen fliegen, und ab 10 Wochen sind sie in der Lage, selbständig Mäuse zu erjagen, erhalten jedoch noch bis zur 11. Lebenswoche Unterstützung der Eltern.
Waldohreule und ihr Lebensraum in der Schweiz
Selbständige Jungeulen legen auf der Suche nach neuen geeigneten Lebensräumen gelegentlich mehrere hundert Kilometer zurück. Normalerweise sind es in einem Radius von 50 bis 100 Kilometern um den Horst. Früher waren die Übergangsbereiche zwischen Wald und den Ackerflächen sehr vielfältig. Lockere und lichte Waldpartien, Hecken, Sträucher, Feldgehölze und Obstgärten mit Magerwiesen boten optimale Lebensräume – nicht nur für die Waldohreule.
Heute sind dichter Hochwald und intensiv genutztes Kulturland messerscharf abgetrennt. Die wichtige Übergangszone von einst ist verschwunden und damit auch lebenswichtiger Raum für die Waldohreule und zahlreiche weitere Tier- und Pflanzenarten.
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2019, Text Michael Knaus, Fotos Adobe Stock, Stiftung PanEco