Liebe garten- und naturbegeisterte Leserinnen und Leser, Der Winter steht vor der Tür und zwingt uns, alles etwas gemächlicher zu nehmen. Der ideale Moment, sich ein paar Gedanken über den Garten zu machen. Für einmal nicht über Beetbepflanzungen oder saubere Gartengeräte, nicht über neue Züchtungen oder Düngemittel, sondern vielmehr über den Sinn, einen Garten zu haben, und die Verantwortung, mit dem uns zur Verfügung gestellten Boden sorgfältig umzugehen.
Ich werde um ein paar kritische Fragen und Bemerkungen nicht herumkommen, und ich möchte Sie einladen, Ihr eigenes Tun, Ihre eigene Einstellung kritisch zu hinterfragen und Antworten darauf zu finden.
Der Garten - ein begrenztes Stück Land
Die Definition von Garten steht im Duden wie folgt: «Ein begrenztes Stück Land (am/um ein Haus) zur Anpflanzung von Gemüse, Obst, Blumen oder Ähnlichem.» Ich würde gerne diese Definition noch mit folgenden Worten ergänzen: «Ein Stück Boden, das uns die Natur zur sorgfältigen Bearbeitung und für einen respektvollen Umgang überlassen hat.» Wenn ich heute durch die Schweizer Landschaft fahre fallen mir vor allem die monotonen Siedlungen auf, alles sauber, ja fast schon steril, alles sieht gleich aus, hier wird weder etwas angebaut noch sorgfältig oder respektvoll mit dem Stück Boden umgegangen.

Respektvoll umgehen
Unter einem respektvollen Umgang verstehe ich, dass wir möglichst viele heimische Lebewesen, ungeachtet ihrer Aufgabe, ihres Daseins, ihrer Lebensweise, achten und ihnen die entsprechenden Lebensgrundlagen bieten, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Woher nehmen wir das Recht, Tiere in Nützlinge und Schädlinge einzustufen oder Pflanzen als Unkräuter abzustempeln? Jede pflanzliche und tierische Art hat im gesamten Ökosystem wichtige Aufgaben und Funktionen, nur wir Menschen denken immer, wir kämen ohne alles zurecht und es sei egal, wenn die eine oder andere Art fehle. Wir Menschen sind nur eine von vielen, vielen Arten auf diesem Planeten, die gerne eine artgerechte Umgebung haben, warum bieten wir das nicht auch anderen an? Schliesslich ist es das Zusammenspiel aller Arten, das ein Leben auf der Erde langfristig erfolgreich und nachhaltig sein lässt.
Sagenhaftes Zusammenspiel der Natur
Wir haben uns so weit von der Natur entfernt, dass wir uns vor vielem ekeln, dass wir mehr Angst vor Zecken haben als vor Autos, dass wir keine Ahnung mehr haben von den fantastischen Vorgängen in der Natur, von dem sagenhaften Zusammenspiel von Jägern und Beutetieren, von Nützlingen und Schädlingen oder von Pflanzen und Tieren. Gerne erzähle ich Ihnen an dieser Stelle das wunderbare Zusammenspiel zwischen einem Schmetterling, dem dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, und den Ameisen. Die Raupen des Wiesenknopf-Ameisenbläulings ernähren sich ausschliesslich von den Blüten des grossen Wiesenknopfs. Deshalb legt auch das Schmetterlingsweibchen seine Eier einzeln auf die noch nicht geöffneten Blüten. Die geschlüpften Raupen fressen eine Weile im Innern der Blüten. Nach einer gewissen Zeit lassen sie sich auf den Boden fallen und warten, bis ihre Wirtsameise, die Rote Gartenameise oder die Trockenrasen-Knotenameise, daherkommt und sie mitnimmt in ihren Ameisenbau. Ja, warum tut sie das? Natürlich weil sie etwas erhält dafür, und zwar ein zuckerhaltiges Sekret, das die Ameisen so sehr lieben, dass sie in Kauf nehmen, dass die Raupen die Eier und Ameisenlarven fressen. Die Raupen können sogar den Nestgeruch der Ameisen imitieren, so dass diese von den Ameisen wie ihre Brut gepflegt werden. Die Raupen überwintern und verpuppen sich im Frühling im Ameisenbau. Nach dem Schlüpfen aus der Puppe muss der Schmetterling jedoch sofort das Ameisennest verlassen, denn die Tarnung funktioniert nicht mehr und die Ameisen würden jetzt beginnen ihn aufzufressen. Dieses Zusammenspiel finde ich hochspannend, und davon gibt es unzählige. Doch damit so etwas funktioniert, braucht es für dieses Beispiel in einem Garten den Grossen Wiesenknopf und Ameisen. Fehlt beispielsweise die Ameise, kann sich die Raupe nicht weiter als bis zum Stadium, in dem sie zu Boden fällt, entwickeln, dann verhungert sie.
Ameisen und Blattläuse
Gerne erzähle ich Ihnen noch ein anderes Beispiel mit Ameisen, die sind ja so zahlreich im Garten vorhanden: Die Art und Weise, wie Ameisen und Blattläuse zusammen funktionieren respektive wie Ameisen sich Blattläuse halten. Blattläuse ernähren sich vom Saft der Pflanzen, sie beissen also in den Stängel und saugen den Saft heraus. Was sie davon nicht brauchen, also Zucker und Wasser, scheiden sie aus. Diesen sogenannten Honigtau lieben die Ameisen so sehr, dass sie die Blattläuse wie Haustiere halten, sie gegen Feinde beschützen und sie sogar am Morgen an eine Futterstelle bringen und am Abend wieder in den Ameisenbau zurückholen. Als Lohn dafür winkt den Ameisen, wenn sie die Blattläuse in den Hintern zwicken, der zuckersüsse Honigtau. Faszinierend, was die Welt der Insekten alles zu bieten hat. Darum greifen Sie nicht gleich zur Giftkeule wegen ein paar Blattläusen, es gibt viele Tiere, die sich von ihnen ernähren, wie zum Beispiel der Marienkäfer, die Florfliege, der Ohrwurm und die Schlupfwespe. Und sollten die Ameisen stören, dann lassen sie sich gut vertreiben mit dem Duft von Lavendel, Zedern, Pfefferminze, Orangenöl oder mit Kaffeesatz. Je weniger Gift Sie im Garten einsetzen, umso besser kann sich darin ein Gleichgewicht einstellen.

Der Garten, ein Lebensraum
Ihr Garten, Ihr Stück Boden, von dem ich am Anfang gesprochen habe, könnte der Lebensraum für ganz viele Arten sein, sofern ihren Bedürfnissen Rechnung getragen wird und der Lebensraum Garten ihnen entspricht, was leider noch viel zu wenig der Fall ist. Und über jede Art gäbe es etwas Spannendes zu berichten. Öffnen Sie Ihre Augen, Ihr Herz und Ihren Garten für andere Lebewesen und ihre Bedürfnisse, sie werden es Ihnen danken, indem sie zum Beispiel eben Ihre Blattläuse fressen, Ihre Schnecken dezimieren oder Sie mit einem schönen Gesang oder Gezirpe erfreuen. Als Abschluss möchte ich Ihnen ein Gedicht von Irmtraut Fröse-Schreer mitgeben, das mir sehr am Herzen liegt:
«Du sollst niemals das Staunen verlernen über die Vielfalt des Lebens. Möge deinem wachen Blick Auch das Kleinste nicht entgehen, damit du es achtest und schätzt.»
Ihre Claudia Ebling
Claudias Wintertipp:
Um einen Garten für die verschiedensten Lebewesen attraktiv zu machen, braucht es einige Kenntnisse. Dies soll Sie jedoch nicht von Ihren guten Vorsätzen abbringen, Sie brauchen ja auch nicht gleich den ganzen Garten umzugestalten. Beginnen Sie in einer Ecke oder mit einem Beet. Lesen Sie jetzt im Winter ein gutes Buch, das Ihnen Ideen vermittelt und Sie motiviert.
Hier ein paar Vorschläge:
– Natur sucht Garten, 35 Ideen für nachhaltiges Gärtnern, Ulmer Verlag
– Der Naturgarten, Gestaltungsideen für ein grünes Paradies, blv Verlag
– Gärtnern für Tiere, ein Praxisbuch für das ganze Jahr, Haupt Verlag
– Lebendige Naturgärten, Peter Richard, AT Verlag
Und wenn Sie gar nicht weiterkommen, dann wenden Sie sich an eine / n Fachfrau / Fachmann für naturnahe Garten- und Landschaftsgestaltung (www.natur-im-garten.ch) oder an einen Fachbetrieb Naturgarten.
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2013, Text/Fotos Claudia Ebling