Nicolas Stettler hat einen Sommer lang die Biber begleitet und dabei festgestellt, dass ihm das Wohl befinden der Tiere wichtiger ist als ein gutes Foto. «Wenn der Mensch dem Tier Platz gibt, ist vieles möglich», lautet die Botschaft des 15-Jährigen. Dies beweist er mit seinem Bericht und wundervollen Aufnahmen.
Es ist schwülheisser Sommerabend. Eine Gruppe Jogger läuft an mir vorbei. Sie staunen nicht schlecht, als sie mich mit Tarnjacke, Gummistiefeln und Kamera im Wasser stehen sehen. Auf dem Fluss paddeln mir zwei Personen entgegen. Zwei Blässhühner streiten sich am anderen Ufer. Die Sonne geht langsam hinter einem Berg unter. Ich sehe mich um. Noch scheint der Biber nicht unterwegs zu sein. Also laufe ich noch einige Meter den Fluss hoch.
Da! Ich höre ich ein kratzendes Geräusch. Immer wieder: «Cht cht cht cht.»
Ich laufe ein Stück weiter und lege mich auf einen Schiffssteg nur wenige Zentimeter über dem Wasser. Ich warte. Immer wieder fliegen mir Mücken ins Gesicht. Das Metallgitter, auf welchem ich liege, beginnt zu schmerzen. Die Schmerzen verfliegen aber schnell, als der Biber plötzlich abtaucht und nur wenige Meter vor mir geräuschlos wieder auftaucht. Er schwimmt auf mich zu. Er weiss, dass ich da bin. Er schwimmt noch weiter auf mich zu, bis er umkehrt und davonschwimmt …
Was für eine Begegnung mit dem Biber
Ich bin 15 Jahre alt und wohne im Drei-Seen-Land. Ich fotografiere seit rund 5 Jahren vor allem Tiere. Zum Fotografieren und Beobachten von Tieren ist das Seeland vor allem im Winter gut geeignet. Im Sommer wird es etwas ruhiger. Anfang Frühling 2018 überlegte ich mir also, was ich über den Sommer fotografieren wollte. Ich nahm mir vor, ein Tier den ganzen Sommer lang zu begleiten. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für mich war es, dass die Tiere schnell mit dem Velo zu erreichen sind. Ich wusste, dass am Rand meines Wohnortes eine Biberfamilie lebte. Deshalb machte ich mir den Biber zu meinem kleinen Sommerprojekt. Während des gesamten Sommers versuchte ich also, so oft wie möglich zu den Bibern zu gehen.

Biber sind meistens scheue und ängstliche Tiere. Ich hatte das Glück, dass «meine» Biber mehr oder weniger in einer Stadt leben. Sie sind sich an Menschen gewöhnt und lassen sich nur schwer stören. Zum Fotografieren und beobachten also optimal.
Als ich also die ersten Male die Biber fotografiert habe, ging ich überaus vorsichtig vor. Weil Biber schlecht sehen, ist es relativ einfach, nahe an die Tiere heranzukommen. Dies kann aber auch ein Problem darstellen. Viele Male schwammen die Biber, ohne mich zu sehen, direkt auf mich zu. Die Biber waren mir gegenüber immer sehr freundlich gesinnt, wenn nicht sogar interessiert. Doch wenn die Tiere überrascht werden, kann auch der freundlichste Biber unberechenbar reagieren. In den letzten Jahren haben sich die Biber immer stärker ausgebreitet. Dabei sind sie auch in Siedlungsgebiete vorgedrungen. Es ist also kein Wunder, dass der Kontakt mit Menschen immer enger wurde. Daraus resultierten leider auch Zwischenfälle mit Verletzten.

Mir gegenüber zeigten die Biber aber keine Aggressionen. Damit sich die Biber nicht erschrecken, sage ich ihnen jeweils kurz Hallo. Mir ist bewusst, dass ich ohne diese Massnahme wahrscheinlich das eine oder andere gute Foto mehr geschossen hätte. Mir ist aber das Wohlbefinden von Tier und mir wichtiger als ein gutes Foto.
Mit der Zeit wurden sie gelassener gegenüber mir. Sie haben mit der Zeit gelernt, dass ich keine grosse Gefahr für sie bin. Das Klacken des Auslösers schien sie mittlerweile nicht mehr zu stören. Doch das Projekt ging leider nicht ohne einige «unangenehme» Begegnungen. So hielt ich eines Morgens auf einem Schiffssteg nach den Bibern Ausschau. Ich konnte ein Individuum am nahen Ufer entdecken. Er war gerade bei der Fellpflege. Nachdem er kurze Zeit später ins Wasser glitt, drehte ich mich um und … «platsch». Ein anderer Biber schwamm, währenddem ich abgelenkt war, auf mich zu. Er hat mich wohl erst bemerkt, als ich mich aufrichtete. Noch immer kann ich mich nicht entscheiden, wer sich wohl mehr erschrocken hat.

Schön wäre mehr Rücksicht auf die Biber zu nehmen
Es war Mitte Sommer, als ich mich an einem schönen Sommerabend wie so oft an den Fluss setzte. Es war ein rekordverdächtig heisser Sommer und der Fluss diente an besonders heissen Tagen vielen Menschen der Abkühlung. Immer wieder fuhren Menschen mit Booten oder Stand-up-Paddles dem Fluss entlang. Es war schon fast dunkel, bis mir der erste Biber entgegenkam. Doch ich merkte schnell, dass etwas anders war. Der Biber schien mir um einiges kleiner als sonst. Erst als mir ein zweiter, grösserer Biber entgegenschwamm, realisierte ich, dass es sich beim ersten Biber wohl um ein Junges handeln musste. Die Biber-Eltern waren nun wieder viel vorsichtiger. Das Klacken des Auslösers schien sie wieder zu irritieren und sie waren etwas nervös. Die Sonne war bereits hinter dem Berg verschwunden, und ich entschied mich, die Biber in Ruhe zu lassen.
Doch auch in den folgenden Tagen wurde das Ganze nicht besser. Die Feuerwerke am 1. August schienen die Familie so stark zu verunsichern, dass sie fortan erst bei vollkommener Dunkelheit den Bau verliess. Die Tage wurden wieder kürzer, was das Beobachten der Biber noch schwieriger machte. Ich sah die Biber immer weniger, bis ich sie eines Tages gar nicht mehr sah.

Es war bereits Herbst, als ich für ein letztes Mal an den Fluss ging. Es war bereits am Dämmern. Ich setzte mich wie immer ans Ufer. Als einige Stockenten quakend an mir vorbeischwammen, hörte ich ein mir bekanntes Geräusch. In der Nähe musste ein Biber aus dem Wasser gestiegen sein. Mit zwei, drei Bissen zwackte er einen kleinen Ast ab, machte kehrt und glitt fast lautlos zurück ins Wasser und verschwand wieder.
In all den Stunden, die ich mit den Bibern verbracht habe, erlebte ich viele unglaubliche Begegnungen. Einige davon konnte ich mit meiner Kamera festhalten. Das Projekt hat mir gezeigt, was möglich ist, wenn der Mensch dem Tier Platz gibt, und wie wenig es eben auch braucht, um die Tiere wieder zu vertreiben. Insgesamt kann ich jedem, ob Fotograf und/oder Naturfreund, wärmstens empfehlen, sich auf wenige Arten zu konzentrieren. Sei es der Igel im Garten oder der Fuchs am Stadtrand. Wirklich gute Fotos von Tieren können erst entstehen, wenn man sich monatelang mit ihnen auseinandergesetzt hat.
Auf Tuchfühlung mit dem Biber
Liest man den Erfahrungsbericht von Nicolas Stettler («Ein Sommer bei den Bibern») und seine eindrücklichen Begegnungen mit den Bibern, so darf man nicht vergessen, dass solche Beobachtungen bis vor Kurzem in der Schweiz kaum möglich waren. Der Biber, das grösste einheimische Nagetier, ist in der Schweiz durch masslose Jagd vor 200 Jahren ausgerottet worden. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts sind wieder Tiere aus dem Ausland bei uns angesiedelt worden. Bis zur Jahrtausendwende lebten aber erst ein paar hundert Biber über das Mittelland verstreut und lange war nicht klar, ob die Population sich langfristig halten kann. Nicolas Stettler hätte damals sehr genau wissen müssen, wo die Biber leben, um sie beobachten zu können. Zu Beginn der Aussetzungen wurde solches Wissen oft geheim gehalten, um die Tiere nicht einer Störung preiszugeben. Heute kann man praktisch an jedes Gewässer im Schweizer Mittelland und trifft da und dort auf Spuren von Bibern. Über 3000 Tiere leben heute wieder unter uns. Auch in die Städte haben sie in den letzten Jahren vermehrt gefunden und fühlen sich da sichtlich wohl. Selbst unter dem Bundeshaus hat eine Biberfamilie ihre Burg errichtet.
Biber können praktisch jeden Typ Gewässer im Mittelland besiedeln. Eine Familie von 5–7 Individuen verteidigt – und zwar bis zum Tod – einen Gewässerabschnitt von 1–2 Kilometer Länge gegen andere Biber. Dies garantiert, dass ihnen kein anderer das Futter vor der Nase wegfrisst. Biber ernähren sich nämlich rein vegetarisch. Wenn sie nur das fressen, was nachwächst, können sie ein Gebiet dauerhaft besiedeln und sind so nicht gezwungen, abzuwandern und ein anderes freies Revier zu suchen. Durch diese natürliche Revierkontrolle wächst der Bestand nie zu stark an.
Biber hinterlassen allerlei verschiedene Spuren. Jetzt im Winter sind dies vor allem angenagte und gefällte Bäume. Von diesen fressen sie die Rinde, die einzige Nahrung im Winter. Aber auch Dämme und Burgen findet man regelmässig. Die Spuren hinterlassen sie vor allem in der Nacht. Nicolas Stettler tat gut daran, «seine» Biber im Sommer zu besuchen. Biber verbringen den Tag nämlich schlafend in der Burg, da kriegt man sie nur höchst selten zu sehen. Die Burg verlassen sie bei uns in der Schweiz das ganze Jahr über immer um die gleiche Zeit, so zwischen 19 und 22 Uhr. Im Winter ist es zu dieser Zeit dunkel. Im Sommer scheint dann aber oft noch die Sonne und man hat beste Beobachtungsbedingungen. Ab Ende Mai verlassen die 2–4 jungen Biber aus dem einzigen Wurf des Jahres das erste Mal den elterlichen Bau. Wie viele jungen Wildtiere toben sie sich dann zusammen im Wasser vor dem Bau aus. Dies ist denn auch die beste Zeit überhaupt, um Biber zu beobachten. Aber Achtung, bewahren Sie genügend Abstand und stören Sie die Tiere nicht. Wenn Sie sich korrekt verhalten, bieten Ihnen die jungen Biber mit ein bisschen Glück einen unvergesslichen Moment draussen am Wasser.
Die Biberfachstelle ist eine Beratungs- und Koordinationsstelle des Bundes. Sie koordiniert in Sachen Biberfragen zwischen Bund und Kantonen sowie mit anderen Organisationen und Beratungsstellen. Sie berät bei Konflikten und hilft nach Lösungen suchen. Die Biberfachstelle ist interessiert an Ihren Beobachtungen. Melden Sie diese bitte unter www.webfauna.ch oder mit der Webfauna-App (für iOS und Android).
Weitere Wildtiere in der Schweiz im Sommer die man kennen sollte:
Der Graureiher (Fischreiher) - ein eleganter Jäger in der Schweiz
Der Fischotter kehrt langsam zurück in die Schweiz
Frösche - im Wasser und zu Land
NATURYZT Ausgabe Juni 2019, Text Nicolas Stettler, Christof Angst, Biberfachstelle, Fotos Nicolas Stettler