Wir sind nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, doch sehen wir die Dinge immer nur aus unserer Sicht. Wie aber wäre es, wenn wir hören könnten, was unsere 4-, 8- oder 111-beinigen Mitbewohner dieser Erde uns zu sagen haben. Was würden sie wohl über uns Menschen denken, und wie würden sie das Zusammenleben mit uns empfinden?
Eine spannende Idee – das Ganze einmal aus ihrer Sicht zu sehen und zu hören, was sie uns zu sagen haben. NATURZYT hat sich deshalb entschlossen, neue Wege auszuprobieren und sich darüber Gedanken zu machen, was wäre, wenn sie wie wir sprächen und wir sie einfach fragen könnten.
Er ist Englands heimlicher Nationalvogel und beobachtet für Santa Claus die Kinder, damit dieser an Weihnachten weiss, wer brav und wer weniger brav war. Bei den Kelten und Germanen galt er als Bote der Sonne. Wo er nistete, glaubte man, dass der Gott Donar, dem er auch zugeschrieben wurde, Haus und Hof hütet und Glück bringt. Es handelt sich hierbei um einen der lieblichsten Vertreter der Sperlingsvögel – unser Rotkehlchen.
LIEBER ROBIN, VIELEN DANK, DASS DU DICH BEREIT ERKLÄRT HAST, MIT MIR DIESES GESPRÄCH ZU FÜHREN.
Das mache ich sehr gerne. Was möchtest du denn gerne von mir wissen?
ICH WAR NEULICH IN ENGLAND UND HABE DICH UND EINIGE DEINER ARTGENOSSEN GETROFFEN. DORT SIEHT MAN ROTKEHLCHEN FAST IN JEDEM GARTEN. WESHALB SIEHT MAN EUCH HIER NICHT SO OFT?
Ich lebe in Gegenden, wo es tolle Büsche mit Wurzeln und Unterholz hat. Hier habe ich eine wunderbare Flora, die mir ein reichhaltiges Nahrungsbuffet bietet. Wir leben aber auch in Gärten, die Hecken und Unterholz zu bieten haben. Weshalb man uns bei euch selten sieht, kann ich nur raten. Vielleicht liegt es daran, dass eure Gärten zu aufgeräumt sind, sodass nicht mehr viel Nahrung geschweige denn Versteckmöglichkeiten zu finden sind. Naturnahe und naturbelassene Gärten finden wir aber sehr toll und quartieren uns auch gerne dort ein. Aber ich bin sicher, dass du auch bei dir zu Hause ein Rotkehlchen finden wirst. Du wirst es bestimmt hören, noch bevor du es siehst.
DAS IST WOHL WAHR. ICH HABE JA AUCH DICH ZUERST GEHÖRT, BEVOR ICH DICH GESEHEN HABE, UND ES HAT MIR SEHR VIEL FREUDE GEMACHT, DASS ICH DICH DANN AUS NÄCHSTER NÄHE BETRACHTEN DURFTE. MIR SCHEINT, DU BIST NICHT SEHR SCHEU. IST DAS BEI ALLEN ROTKEHLCHEN SO?
Ja, das ist nicht nur bei mir so. Wir sind zwar vorsichtig, aber wir haben eine sehr kurze Fluchtdistanz. Wäre ja schade, wenn wir den Wurm nicht erwischen würden, den ihr beim Gartenumgraben gerade freigelegt habt.
DANN ERNÄHRST DU DICH ALSO NICHT VON SAMEN?
Nein, ich ziehe Insekten, Schnecken und Würmer vor. Aber ich esse schon auch Früchte, Mehlbeeren, weiche Seidelbastsamen und anderes. Manchmal sogar kleine Steinchen. Ist gut für die Verdauung. Im Winter mag ich jedoch das Fettfutter aus dem Futterhäuschen vom nahe gelegenen Hof sehr gerne.
EIN FREUND HAT AUCH SO EIN FUTTERHÄUSCHEN IM GARTEN UND ERZÄHLTE MIR, DASS EIN ROTKEHLCHEN IMMER ZUM FRESSEN KÄME. ER WAR ABER WENIGER BEGEISTERT ALS ICH UND ERZÄHLTE MIR, DASS DER FRECHE KERL ALLE ANDEREN VÖGEL, DIE SICH AUCH BEDIENEN WOLLTEN, EINFACH VERSCHEUCHT HABE. MACHST DU DAS DENN AUCH?
Ja, auch ich verteidige mein auserkorenes Futterhäuschen gegen jeden anderen. Unser Revierverhalten ist sehr ausgeprägt. Kommt ein Artgenosse nur auf der Futtersuche vorbei, dulde ich ihn meistens, wenn genug Futter da ist. Um die Brutzeit jedoch kann es schon mal zu Aggressionen kommen, wenn ein anderer in mein Revier einzudringen versucht. Dann versuche ich ihn erst mal mit meinem Gesang zu verscheuchen, und wenn das nichts nützt, drohe ich ihm mit vorgestreckter Brust und erhobenem Schwanz. Wenn auch das nichts nützt, kann es schon mal zu Kämpfen kommen, die sehr böse enden können.
DAS HABE ICH NICHT GEWUSST. ICH HABE IMMER GEDACHT, DASS IHR FRIEDLICH UND IN GRUPPEN ZUSAMMENLEBT WIE MEISEN, WELCHE JA AUCH ZUR GATTUNG DER SPERLINGSVÖGEL GEHÖREN. WESHALB UNTERSCHEIDET IHR EUCH DENN SO VON IHNEN?
Weshalb unterscheiden sich denn die Engländer von den Schweizern, sie gehören doch auch alle der Gattung Mensch an?
DAS LIEGT VIELLEICHT AN DEN UNTERSCHIEDLICHEN SPRACHEN, AN DER UNTERSCHIEDLICHEN LEBENSWEISE, DER ERZIEHUNG, DEM GLAUBEN ODER AN WAS AUCH IMMER. ABER DU HAST ABSOLUT RECHT. WESHALB SOLLTE DAS BEI EUCH ANDERS SEIN.
Eben, siehst du. Wir mögen vielleicht anders aussehen, riechen und uns anders ausdrücken, aber wir sind nicht so viel anders als Menschen.
DA HAST DU WOHL RECHT. DU HAST HIER EIN TOLLES REVIER. TEILST DU ES DENN AUCH MIT JEMANDEM?
Nein, momentan lebe ich hier noch alleine. Nichtbrütende Männchen bilden zwar manchmal Schlafgemeinschaften. Da es aber mehr männliche als weibliche Rotkehlchen gibt, ist es wichtig, ein gutes Revier zu besetzen. Da wir standorttreu sind, müssen wir unser Revier auch gut verteidigen. Sonst können wir uns nicht verpaaren.
DANN BIST DU ALSO NOCH AUF DER SUCHE NACH EINEM WEIBCHEN?
Ich suche mir kein Weibchen. Bei uns ist es so, dass das Weibchen sich seinen Partner sucht.
SEHR EMANZIPIERT, ABER WENN DU SO AGGRESSIV AUF ANDERE ROTKEHLCHEN IN DEINEM REVIER REAGIERST, IST ES DANN FÜR EIN WEIBCHEN NICHT SEHR SCHWIERIG MIT DIR ANZUBANDELN? ODER SIEHST DU GLEICH DASS ES EIN WEIBCHEN IST?
Nein ansehen tu ich ihr das nicht. Aber ich merke es an ihrem Verhalten. Wenn nämlich ein Weibchen ins Revier kommt und ich versuche es zu verscheuchen, verhält sie sich plötzlich wie ein Jungvogel. Zittert mit den Flügeln und singt ganz leise. Damit beruhigt sie mich. Das geht dann einige Tage so, bis ich sie akzeptiert habe, und danach verteidigen wir unser Revier gemeinsam.
BLEIBEN PAARE DANN ZUSAMMEN?
Ja, wir ziehen dann zusammen unsere Jungen auf. Das Weibchen wählt den Nistplatz aus. Meist in einem Dickicht am Boden oder zwischen den Wurzeln eines Baumes. Manchmal aber auch ein ausgedientes Amselnest. Sie gestaltet es dann kuschelig nach ihren Bedürfnissen, während ich über ihr in einem Baum oder Strauch sitze und singe. Die ersten zwei Wochen nach der Eiablage bleibt das Weibchen dann fest auf den Eiern sitzen. Während ihrer Brutpausen füttere ich sie, und auch wenn die Jungen geschlüpft sind, bringe ich meiner Lady noch eine Weile Futter, damit sie unsere Kleinen füttern kann. Später füttere ich die Jungen dann auch direkt.
Im Gespräch mit NATURZYT
Robin Rotkehlchen verteidigt sein Revier erfolgreich gegen Eindringlinge, singt gerne bis in die Nacht hinein und ist einer der Hüter der Holy Island Lindisfarne.
HABT IHR NUR 1 MAL IM JAHR JUNGE, UND WIE VIELE KÖNNEN ES WERDEN?
Nein wir haben 2 bis 3 Mal im Jahr Junge, und es können schon so 5 bis 7 Eier pro Gelege sein.
DAS KLINGT NACH VIEL ARBEIT. MACHT IHR EUCH DENN KEINE SORGEN, OB IHR GENUG FUTTER FÜR EURE JUNGEN FINDET UND OB SIE SICHER SIND IN IHREM NEST?
Wieso sollten wir uns sorgen? Wir können die Welt nicht ändern. Wir leben jeden Tag so, wie wir es am besten können. Meine Lady baut das Nest am bestmöglichen Platz im Revier und wenn Feinde wie eine Katze oder Profiteure wie der Kuckuck in die Nähe kommen, versuchen wir vehement, sie wegzulotsen oder zu vertreiben. Wir suchen Futter für die Kleinen und geben unser Bestes für sie. Also wozu sollen wir uns Sorgen machen. Wir schauen nicht zurück, denn die Vergangenheit ist vorbei, und wir können nicht in die Zukunft sehen, weshalb wir auch nicht wissen, was kommt. Wir leben heute und geniessen jeden Wurm, den wir finden, freuen uns, wenn wir im Sonnenschein baden können, und singen bis spät in die Nacht hinein unsere Lieder. So soll das Leben doch sein, oder etwa nicht?
JA, ICH DENKE, DU HAST DAMIT ABSOLUT RECHT. WIR MENSCHEN MACHEN UNS EINFACH ZU VIELE SORGEN UND VERGESSEN DABEI MANCHMAL ZU LEBEN. WIR KÖNNTEN EINE MENGE VON EUCH LERNEN, WENN WIR ETWAS GENAUER HINHÖREN UND HINSEHEN WÜRDEN.
Es gibt doch Menschen, die das tun. Du gehörst doch auch dazu, oder? Trag deine Gedanken und Erfahrungen einfach weiter. Das ist dann wie wenn ein Steinchen ins Wasser fällt.
DARF ICH DICH NOCH ETWAS FRAGEN, ROBIN? MIR IST AUFGEFALLEN, DASS MAN SEHR OFT AN HEILIGEN STÄTTEN UND ENERGIEREICHEN ORTEN ROTKEHLCHEN SIEHT. IN GLASTONBURY WAR EINES SOGAR MITTEN IN EINER MENSCHENMENGE, DIE DORT MEDITIERT HAT. DU LEBST HIER AUF HOLY ISLAND, EINER ENERGIEVOLLEN UND GESCHICHTSTRÄCHTIGEN INSEL. ICH HABE MANCHMAL FAST SCHON DAS GEFÜHL, AN DER SANTACLAUSSAGE IST WAS DRAN, DENN AUCH WENN ICH EUCH NICHT IMMER GLEICH SEHE, SO WEISS ICH DOCH, DASS IHR DA SEID, UND KANN EUCH MEIST AUCH HÖREN. HABT IHR DA EINE AUFGABE, ODER IST DAS PURER ZUFALL?
Es ist wirklich so, dass wir eine Aufgabe haben. Wir sind die Wächter und Hüter heiliger Stätten und energievoller Orte. Dort sieht und hört uns nur, wer offenen Herzens hingeht. Auch wenn wir klein an Gestalt sind, heisst das doch noch lange nicht, dass wir nichts bewirken können. Denn in den kleinsten Dingen schlummern oft die grössten Kräfte, und Energie ist ja nicht mit dem Auge messbar.
WENN DAS SO IST, IST WOHL AUCH AN DER CHRISTUS LEGENDE WAS DRAN. DIE BESAGT NÄMLICH, DASS ALS JESUS AM KREUZ HING VOLLER SCHMERZEN, ER EINEN KLEINEN BRAUNEN VOGEL WEINEN SAH. DER KLEINE VOGEL FLOG ZU JESUS, UM IHM EINEN DORN AUS DER KRONE ZU ZIEHEN, WORAUF SEINE BRUST MIT JESUS' BLUT BENETZT WURDE UND SICH ROT VERFÄRBTE. ES HEISST, ER HÄTTE JESUS MIT SEINEM GESANG GETRÖSTET. OB DA WOHL ETWAS WAHRES DRAN IST?
Wer weiss, vielleicht ist es wahr, vielleicht auch nicht. Vielleicht sind wir ja die Helfer von Santa Claus, vielleicht aber auch nicht. Eine Antwort auf diese Frage kann und will ich dir nicht geben, dass musst du ganz alleine für dich selbst entscheiden.
ICH DANKE DIR, LIEBER ROBIN, DASS DU DIR DIE ZEIT FÜR EIN GESPRÄCH MIT MIR GENOMMEN HAST. ICH WÜNSCHE DIR ALLES GUTE FÜR DEIN WEITERES LEBEN.
Ich habe das sehr gerne gemacht. Ich wünsche dir für jeden Tag ein Lächeln. Und allen Lesern wünsche ich eine gesegnete Weihnachtszeit. Geniesst sie im Kreise eurer Lieben und denkt auch an alle, die nicht ganz so viel Glück im Leben haben, egal wie viele Beine sie haben.
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NATURZYT Ausgabe Dezember 2016, Text, Illustration, Foto Virginia Knaus