In Fabeln, Märchen und Liedern gelten Füchse als listig und schlau. Korrekter wäre wohl: anpassungsfähig. Denn Füchse sind nicht wählerisch und finden sich überall zurecht. Auch in dicht besiedelten Städten.
Es ist Frühsommer. Für Familie Fuchs bedeutet dies: Zügeltermin! Der alte Bau wird für die rasch wachsenden Welpen zu eng oder ist durch den Kot der Jungen stark verschmutzt. Die Fuchsfamilie ver lässt deshalb ihren Bau und zieht in ein Getreidefeld oder in ein anderes Versteck um, von wo aus die Wege zu Mäusewiesen und Obstgärten kürzer sind.
Die Welpen werden im März oder April in einem Bau geboren, den die Füchsin gegraben hat. Wo der Boden zum Graben zu fest ist, nutzt die Fähe auch gerne einen verlassenen oder gar bewohnten Dachsbau als Untermieterin. Den Geburtskessel polstert die werdende Fuchsmutter mit weichen Bauchhaaren, die sie sich ausreisst, um die geschwollenen Zitzen freizulegen. Die vier bis sieben Welpen sind bei der Geburt blind, taub, dunkel behaart und kaum schwerer als eine Tafel Schokolade. Sie sind in den ersten Lebenswochen nicht fähig, ihre Körpertemperatur zu regeln. Die Fähe muss sie deshalb mit ihrem Flankenfell ständig warm halten. Da sie in dieser Zeit nicht auf Nahrungssuche gehen kann, versorgt der Rüde die Fähe mit Nahrung.
Der Fuchs ist kein Einzelgänger
Die jungen Füchse wachsen schnell. Nach etwa einem Monat dürfen sie erstmals an die Oberfl äche, um die nähere Umgebung des Baus zu erkunden. Hier tollen sie ausgelassen und noch etwas ungelenk herum, schleichen sich gegenseitig an, kämpfen miteinander und bereiten sich so spielend auf den Ernst des Lebens vor. Manchmal bringen die Elterntiere «Spielsachen» zum Bau, vorzugsweise Schuhe oder Gartenhandschuhe, die sie auf ihren Streifzügen gefunden haben. Auf diesen «Spielsachen» kauen die Sprösslinge genüsslich herum oder benutzen sie, um die Technik des Beutefangens zu üben. Im Alter von drei bis vier Monaten sind die Jungfüchse bereits in der Lage, selbstständig Nahrung zu fi nden. Die Familie bleibt aber noch zusammen bis zum Herbst, dann gehen die Jungen ihre eigenen Wege und suchen sich ein neues Revier. Einige hingegen bleiben im elterlichen Wohngebiet und helfen im nächsten Frühling bei der Aufzucht der Jungen. Denn der Fuchs ist keineswegs ein Einzelgänger, wie früher vermutet wurde: Füchse leben meist in Familienverbänden. Wie gross die Familiengruppe ist, hängt davon ab, wie viel Nahrung im Lebensraum vorhanden ist und ob genügend Baue und Unterschlupfe verfügbar sind.
Wählerisch sind die Rotfüchse weder beim Lebensraum noch bei der Nahrung: Sie fi nden sich in den unterschiedlichsten Lebensräumen zurecht, von der arktischen Tundra bis zu den Wüsten Nordafrikas, in Küstengebieten ebenso wie im Gebirge, im Wald genauso wie in Städten. Wo immer der Fuchs zuhause ist – er passt sich den Gegebenheiten an. In Küstengebieten ernährt er sich von angeschwemmten Fischen oder plündert die Nester der brütenden Küstenvögel; in landwirtschaftlichen Gebieten fängt er vor allem Wühlmäuse, die er mit dem typischen «Mäusesprung» anhechtet; im Frühling und Sommer frisst er häufig Laufkäfer, im Herbst Beeren und Fallobst; Regenwürmer dienen ganzjährig als hochwertige Eiweisslieferanten. Kurz: Dem Fuchs schmeckt einfach alles, was gerade verfügbar und einfach zu erbeuten ist.
Der Fuchs hat als Lebensraum auch die Stadt entdeckt
Es kann also kaum verwundern, dass der Fuchs die Stadt als attraktiven Lebensraum entdeckt hat, denn hier findet er ein wahres Schlaraffenland vor – herumliegende Essensreste, an den Strassenrand gestellte Kehrichtsäcke, Küchenabfälle auf Komposthaufen, Fressnäpfe mit Katzenfutter und dergleichen mehr. Das Integrierte Fuchsprojekt, das sich mit dem Phänomen von Füchsen im Siedlungsraum befasste, wollte es genauer wissen und untersuchte den Mageninhalt aller in der Stadt Zürich tot aufgefundenen oder von Wildhütern erlegten Füchse. Die Liste der so nachgewiesenen Nahrungsreste ist lang und eindrücklich. Am häufigsten hatten die Füchse Obst und Beeren aus Gärten gefressen, vor allem Äpfel und Kirschen. Einen fast ebenso grossen Anteil hatten Fleisch- und Knochenreste wie Wurst, Fisch, Pouletknochen oder Speckschwarten. Rüstabfälle wie Rüebli- und Kartoffelschalen sowie Speisereste wie Teigwaren, Rösti oder Käse wurden in den Mägen ebenfalls häufig gefunden. Zwar standen auf dem Menüplan der Stadtfüchse durchaus auch Mäuse, Vögel, Insekten oder Regenwürmer, jedoch längst nicht in dem Ausmass wie bei den Verwandten auf dem Land.
Stadtfüchse und Landfüchse unterscheiden sich nicht nur in ihrem Speiseplan, sondern auch im Verhalten. Füchse in ländlichen Gebieten sind ausgesprochen scheu und meiden die Nähe von Menschen. Stadtfüchse hingegen haben sich an Wohnsiedlungen, Verkehr, Lärm und die Gegenwart des Menschen gewöhnt. Doch auch sie brauchen Orte, an denen sie tagsüber ungestört schlafen oder im Frühling die Jungen zur Welt bringen können. Bei der Wahl des Schlafplatzes zeigt sich wiederum die meisterhafte Anpassungsfähigkeit des Fuchses: Selbst in lebhaften und dichtbesiedelten Städten findet er überraschend viele Orte, an die er sich zurückziehen und den Tag verschlafen kann, zum Beispiel Parkanlagen, Friedhofareale, Industriebrachen, Lagerschuppen, Stachelgestrüpp in Badeanstalten, ja selbst begrünte Verkehrsinseln, die vom lebhaften Autoverkehr umbrandet werden. Als Kinderstube begehrt sind Hohlräume unter Gartenhäuschen, zum Beispiel in Schrebergärten.
Wie der Fuchs vom Land in die Stadt kam
Wie aber kamen die scheuen Landfüchse dazu, in die von Menschen dichtbesiedelten Städte vorzudringen, sich also gleichsam in die Höhle des Löwen zu begeben? In den 1970er-Jahren breitete sich eine Tollwutepidemie in der Schweiz aus und raffte einen grossen Teil der Füchse dahin. Mit einem immensen Aufwand wurden daraufhin Impfk öder ausgebracht, um die Füchse gegen die Tollwut zu impfen. Mit Erfolg: Die Zahl der Tollwutfälle bei Wildtieren nahm stetig ab, seit 1999 gilt die Schweiz als tollwutfrei. Die Fuchsbestände erholten sich rasch, sodass sich immer mehr Jungfüchse auf die Suche nach freien Territorien machten. Die Forscher des Integrierten Fuchsprojekts vermuten, dass einige wenige mutige Pioniere, die bereits in stadtnahen Gebieten gelebt hatten, sich nun in die Wohnsiedlungen der Städte vorwagten. Hier fanden sie Nahrung im Überfl uss und ungestörte Schlafplätze – einen idealen Lebensraum also. Die in der Stadt geborenen Jungfüchse wuchsen in nächster Nähe von Menschen, Autos und Siedlungen auf. Für sie war die Stadt ein vertrauter Lebensraum, in dem sie sich gut zurechtfi nden konnten.
Machen sich junge Stadtfüchse im Herbst oder Winter auf die Suche nach einem eigenen Revier, bleiben sie vorzugsweise im städtischen Raum, denn hier kennen sie sich aus. Die jungen Landfüchse verhalten sich ganz ähnlich: Auch sie bleiben ihrem angestammten und vertrauten Lebensraum treu. So wird die Grenze zwischen ländlichen Gebieten und Siedlungsraum zu einer unsichtbaren Trennlinie zwischen Stadtund Landfüchsen. Allerdings gibt es auch «Pendler», Füchse nämlich, die den Tag im stadtnahen Wald verbringen und nachts in den Gärten der ruhigen Aussenquartiere nach Futter suchen. Füchse sind beileibe nicht die einzigen Wildtiere, die den urbanen Raum für sich entdeckt haben: Igel, Steinmarder, Wanderfalken oder Graureiher finden hier alles, was sie zum Überleben brauchen. Im Jahr 2003 hielt sich sogar ein Luchs in der Stadt Zürich auf, vor einem Jahr wurde in Schlieren ein Jungwolf von der SBahn überfahren. Als der Schrift steller Franz Hohler 1982 «Die Rückeroberung» veröffentlichte, schien seine Erzählung von Hirschen, Wölfen, Bären und Stein adlern, die die Stadt Zürich zurückerobern, eine reine Fiktion zu sein. Inzwischen hat die Realität Franz Hohlers fiktive Geschichte zumindest teilweise eingeholt. Denn die Natur macht vor den Grenzen der Stadt nicht einfach halt. Und das ist gut so.
Fuchs und Mensch
Auch Füchse, die in der Stadt leben, sind und bleiben Wildtiere. Sie sollten deshalb auch als solche behandelt und respektiert werden. Damit das Zusammenleben von Fuchs und Mensch
im besiedelten Raum konfliktfrei möglich ist, gilt es einige Verhaltens regeln zu beachten:
- Füchse nicht füttern! Füchse, die gefüttert werden, verlieren ihre natürliche Scheu und können dreist werden oder auch mal zuschnappen.
- Füchse nicht zu zähmen oder zu streicheln versuchen.
- Vorwitzige Füchse aus dem Garten oder von der Grillparty verscheuchen, zum Beispiel mit lauten Geräuschen oder einem Wasserschlauch.
- Falls ein bereitgestellter Abfallsack aufgerissen wird, die Säcke in Zukunft erst am Morgen des Abfuhrtags auf die Strasse stellen.
- Keine Futterteller für Haustiere ins Freie stellen.
- Schuhe oder Gartenhandschuhe nachts nicht draussen liegenlassen.
- Beim Beobachten von Füchsen Distanz wahren.
- Füchse und ihre Jungen am Bau nicht stören.
Füchse können vom Kleinen Fuchsbandwurm befallen sein. Die Gefahr für den Menschen, sich mit diesem Parasiten zu infi zieren, ist sehr gering. Als Vorsichtsmassnahmenempfi ehlt es sich:
- Fuchskot im Garten mithilfe eines umgestülpten Platiksacks einzusammeln und der Kehrichtabfuhr mitzugeben (nicht auf den Kompost werfen!).
- Mausende Hunde regelmässig gegen Fuchsbandwurm zu behandeln.
- Rohgemüse und Früchte immer gründlich zu waschen.
Hier finden Sie weitere Infos zum Umgang mit Siedlungsfüchsen: www.fuchsratgeber.ch
Begleiten Sie den Stadtfuchs Zor auf einer nächtlichen Wanderung: www.zor.ch
Ratgeberbroschüre und Unterrichtshilfen: www.swild.ch
Noch mehr spannende Details aus dem Leben der Stadtfüchse: Sandra Gloor, Fabio Bontadina, Daniel Hegglin: «Stadtfüchse – ein Wildtier erobert den Siedlungsraum», HauptVerlag 2006.
Weitere Schweizer Wildtiere die interessant sind um mehr über sie zu erfahren:
Libellen - funkelnde Flugkünstler
Das Mauswiesel, kleinstes Raubtier in Mitteleuropa
Das Wisent, grösstes Landsäugetier Europas
NATURZYT Ausgabe Juni 2015, Text Claudia Wartmann, Foto AdobeStock